Der Seitensprung
während des Gesprächs in der Pizzeria mit eigenen Ohren die Abfahrtszeit erwähnen hören.
In der Menschenmenge im Innenbereich des Terminals zu verschwinden war nicht schwer. Er setzte sich auf eine Bank neben eine Gruppe von verkaterten Finnen mittleren Alters in Trainingsanzügen. Von dort konnte er den Haupteingang beobachten. Und dann tauchte er auf, um fünf vor neun. Allein. Direkt hinter der Tür blieb er stehen, stellte eine voll gepackte Reisetasche auf den Boden und schaute sich prüfend um. Jonas wartete ab, wollte ihn eine Weile schmoren lassen. Sah, wie er immer wieder auf seine Armbanduhr guckte, sich in alle Richtungen drehte und wendete und sorgfältig alle Männer taxierte, die vorbeikamen. Jonas schloss die Augen und machte im Dunkeln einen tiefen Atemzug, verweilte für einen Moment in der Ruhe, die ihn erfüllte. Zum ersten Mal zu wissen, was ihn erwartete. Dass die Zukunft eine Belohnung für alle seine bisherigen Kämpfe war. Dass die Angst ihm nichts mehr anhaben konnte. Das Gefühl war ebenso ungewohnt wie willkommen, so vollkommen befreiend, eine umfassende Gnade.
Dann stand er auf und bewegte sich auf den Feind zu.
Einen Meter vor ihm blieb er stehen, sagte aber nichts, ließ ihn weitergrübeln. Schließlich brach der andere das Schweigen –
»Sind Sie Anders?«
Er nickte, blieb aber stumm. Der Genuss, den das offensichtliche Unbehagen des anderen ihm bereitete, war unwiderstehlich.
»Was wollen Sie von mir? Ich habe wenig Zeit.«
Diesmal klang er verärgert.
»Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben, zu kommen.«
Jonas hatte nicht vor, sich aus der Ruhe bringen zu lassen. Stattdessen lächelte er ein wenig, was vielleicht als arrogant ausgelegt werden konnte, aber das war nicht seine Absicht. Schüchtern sah er hinunter auf den melierten Kunststoffboden, er musste seine Rolle gut spielen. Er wollte sich einen Verbündeten schaffen, zumindest sollte der andere glauben, es zu sein, er durfte nicht seinen Unwillen erregen und somit den Nutzen verspielen, den er aus ihm ziehen konnte. Der Mann, der Henrik hieß und untreu war, hatte die Spielregeln selbst aufgestellt, dass er inzwischen nur noch eine hilflose Spielfigur in der großen Aufgabe war, die Jonas erteilt worden war, brauchte er nicht zu erfahren.
Jonas hob den Blick und betrachtete den Mann, der Eva gehörte.
»Ich weiß nicht genau, wie ich beginnen soll, aber vielleicht sage ich es am besten geradeheraus. Ich liebe Ihre Frau, und sie liebt mich.«
Die Augen des anderen wurden leer. Reine Löcher. Was immer der Mann, der Henrik hieß, erwartet hatte, es waren offensichtlich nicht die Worte, die er soeben vernommen hatte. Seine Unterlippe fiel nach unten und vervollständigte den leeren Blick zu dem Bild eines Menschen, dessen Leben aus den Fugen geraten ist. Lange stand er so da, ohne dass ein Laut über seine Lippen kam, und nichts auf der Welt hätte das Gefühl von Kontrolle ersetzen können, das Jonas empfand. Doch. Eines. Aber Eva würde er erst besitzen, wenn er es sich verdient hatte.
»Ich verstehe, dass es ein Schock für Sie sein muss, und bedauere über alle Maßen, Ihnen das anzutun, aber irgendwie wird es auch für Sie besser sein zu wissen, wie die Dinge liegen. Ich bin selbst einmal betrogen worden und weiß, wie verdammt weh das tut, und damals habe ich mir geschworen, niemals jemand anderen diesen Qualen auszusetzen, die ich erleiden musste. Ich weiß, was ein Betrug bei einem Menschen anrichten kann.«
Der Mann, der Henrik hieß und untreu war, hatte den Mund nun geschlossen, aber die Bedeutung des soeben Gesagten brachte ihn zweifellos aus dem Gleichgewicht. Er sah sich um, als wäre er auf der Suche nach etwas Passendem, das er erwidern könnte.
Jonas blieb mit dem Blick an seinen Lippen hängen. Den Lippen, die ihre berührt und denselben Geschmack geschmeckt hatten.
Er verbarg seine geballte Faust in der Jackentasche.
»Sollte nicht Eva diejenige sein, die mir von der Sache erzählt?«
»Doch, ich weiß. Ich habe versucht, sie zu überreden, aber sie traut sich nicht. Sie hat so eine ungeheure Angst vor Ihrer Reaktion. Ich meine, es will Ihnen ja keiner von uns etwas Böses, wirklich nicht, aber wir können nichts gegen unsere Gefühle tun. Dass wir einander lieben. Und außerdem müssen wir ja auch an Axel denken.«
Die Augen des anderen wurden schwarz, als er den Namen seines Sohnes hörte.
»Seinetwegen haben wir mehrfach versucht, die Geschichte zu beenden, aber ... wir können
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