Der Seitensprung
jemand es wagen würde, ein Kind in die Welt zu setzen, wenn er vorher vollständig begriffen hätte, was das wirklich bedeutete. Das Aller-, Allerbeste zu wollen und immer das Gefühl zu haben, zu wenig zu tun.
Dass neben der bedingungslosen Liebe Sorgen und ein schlechtes Gewissen zu ständigen Begleitern werden würden. Sie war dankbar, dass sie es nicht gewusst hatte. Axel war das Größte in ihrem Leben, seine Geburt hatte alles verändert, hatte dem Leben neue Prioritäten verliehen. Nie mehr sich selbst an die erste Stelle setzen zu wollen, immer bereit zu sein, sich unterzuordnen. Genau das hatte er sie gelehrt. Und trotzdem verbrachte sie die meisten Stunden des Tages nicht in seiner Nähe, sondern woanders, und das, obwohl sie bereits in diesen sechs Jahren begriffen hatte, wie schnell die Zeit verging. Und nun gedachte Henrik ihr auch noch die Hälfte von dem zu nehmen, was ihr geblieben war. Wollte sie zwingen, eine Jede-zweite-Woche-Mama zu werden, ohne dass sie die Möglichkeit hatte, sich zu entscheiden.
Sie ging in die Küche, trank einen Schluck Wasser und setzte sich dann wieder vor den Computer. Sie wählte sich ins Internet ein und klickte Google an. Gab Lindas Namen ein und bekam 130 Treffer, übersprang alle Doktoranden des geodätischen Instituts und andere Homepages, die definitiv nichts mit der Linda zu tun hatten, auf die sie aus war, musste aber schließlich aufgeben. Sie fügte +Varberg hinzu, was ihr Informationen über die Ergebnisse der 2. Liga im Damenfußball und ein komplettes Personalverzeichnis von Svenska Kommunförbund einbrachte, nichts davon erschien ihr besonders weltbewegend. +Jonköping ergab ähnlich uninteressante Angaben. Der Name ihres Exmannes führte zu ein paar Treffern von Orientierungslauftabellen und einem Treffer bei einer Autoverleihfirma in Skellefteå, was sie ebenfalls nicht gerade enthusiastisch stimmte.
Sie nahm ihre Kaffeetasse und ging ins Wohnzimmer, schaute durch das große Fenster in den Garten. Wie würde es sein, hier mit Axel zurückzubleiben? Würde sie es schaffen, sich allein um alles zu kümmern? Und dann die nächste Frage, eher wie eine Erkenntnis. Würde es überhaupt einen Unterschied machen?
Aus den Augenwinkeln sah sie, wie sich in der Ecke des Grundstücks etwas bewegte, dort, wo der Gemeindewald begann. Die Rehe wurden tatsächlich immer dreister. Bald würde sie wahrscheinlich die Tür abschließen müssen, damit sie nicht auch noch ins Haus kamen.
Auf dem Rückweg ging sie am Geschirrspüler vorbei und stellte ihre leere Tasse hinein, dann setzte sie sich wieder an den Computer. Las noch einmal die Namen auf den beiden Ausdrucken von der Steuerbehörde.
Hellström, Johanna Rebecca.
Acht Jahre und drei Monate alt war sie geworden.
Sie hatte eine Idee und gab den Namen und +Varberg bei Google ein.
Ein Treffer.
Aftonbladet -Nachrichten – Vater klagt Exfrau wegen Tod der Tochter an.
Sie hob den Blick und starrte aus dem Fenster.
Dann wandte sie sich wieder dem Bildschirm zu und klickte den Artikel an.
Ein Bild von einem Grabstein und davor der Rücken eines Mannes.
Unsere geliebte Tochter Rebecca Hellström « 1993 † 2001.
Und die Bildunterschrift: »Sie lügt.« Der Vater der ertrunkenen Rebecca Hellström ist unendlich traurig und verbittert. »Ich weiß, dass das Unglück hätte verhindert werden können.«
VARBERG – Der Gerichtssaal im Amtsgericht Varberg ist bis zum letzten Platz besetzt. Viele Anwesende kennen die 27-Jährige, die auf der Anklagebank sitzt, weil sie vor sieben Monaten den Tod ihrer 8-jährigen Stieftochter verschuldet haben soll. Sie überlegt lange, bevor sie mit leiser Stimme die Fragen des Oberstaatsanwalts beantwortet, und wird mehrfach gebeten, ihre schwer verständlichen Antwort zu wiederholen. Während der gesamten Verhandlung hält sie den Kopf gesenkt und vermeidet es, den Mann an der Seite des Staatsanwalts anzusehen, der bis vor fünf Monaten ihr Ehemann war, sie nun aber beschuldigt, den Tod seiner Tochter Rebecca verursacht zu haben. Neben ihm sitzt die Mutter des Mädchens, und mehrmals an diesem Tag fassen die beiden sich an den Händen, um einander Trost zu spenden.
Das Unglück geschah im Juli. Die Angeklagte und Rebecca, die abwechselnd bei ihrem Vater und ihrer Mutter wohnte, hatten sich zu einem Badeausflug an den kleineren Strand von Apelvikens Meeresbad aufgemacht. Die Frau blieb am Ufer, während die 8-Jährige, die laut ihren Eltern 5 bis 15 Meter schwimmen kann, baden
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