Der Selbstversorger (Einzeltitel) (German Edition)
Kraftfahrzeuge die Straßen wieder eroberten, viele Pferdewagen unterwegs. Der von starken Oldenburger Kaltblütern gezogene, mit Fässern beladene Brauereiwagen fuhr täglich vorbei, und die Bauern karrten noch ihre Kartoffeln, Gemüse, Äpfel und getrockneten Torf mit Pferdewagen auf den Markt. Meine pflanzlichen Zöglinge dankten es mir; sie wuchsen so gut, dass die Hausbesitzerin mich beschuldigte, gute Humuserde aus ihrem Garten gestohlen zu haben.
Den Zuckermais lernte ich erst in Amerika kennen, aber seitdem liebe ich ihn. Jedes Jahr verteidige ich meine Maispflanzen gegen diebische Elstern und schlechtes Wetter, um im Herbst frisch geröstete Kolben genießen zu können.
Abenteuerleben
Als ich elf Jahre alt war, wanderten wir nach Ohio aus. Der Wohlstand, der Überfluss, ja, die sorglose Verschwendung, die einem dort begegneten, standen im krassen Gegensatz zur Not im Nachkriegseuropa.
Überfluss und Verschwendung
Für uns war es, als wären wir im Schlaraffenland gelandet. Fernsehen gab es dort schon, überall fuhren dicke Straßenkreuzer, und in den Küchen standen Kühlschränke, so groß wie Kleiderschränke. Die waren vollgestopft mit Milchflaschen, Schinken, Eiern, Truthahnschenkeln; im Gefrierfach gab es Sahneeis und popsicles (Eis am Stiel). Wenn man draußen beim Spielen auf etwas Appetit bekam, ging man einfach in das Nachbarhaus und holte sich, ohne fragen zu müssen, einen Keks, ein Eis, ein Glas Limonade oder Milch, oder man machte sich ein Sandwich. Das war selbstverständlich.
Fleisch konnte man sich im Nachkriegseuropa höchstens mal am Sonntag oder zum Feiertag leisten. Hier aber, bei unseren Nachbarn, kam es Tag für Tag auf den Teller, und zwar in so riesigen Mengen, dass der größte Teil davon in der Abfalltonne landete. Deshalb roch es jeden Abend in der Ortschaft nach verbranntem Fleisch; es gab keine öffentliche Müllabfuhr, also wurde der Müll – Papier, Kartons, alte Kleidung, zusammen mit den Essensresten – in einer alten Öltonne verbrannt. Jeder hatte so eine Tonne hinter dem Haus.
Kleine Bäckereien wie in der Alten Welt gab es nicht, dafür aber eine Brotfabrik, welche die ganze Region mit watteweichem Weißbrot und viel zu süßem Kuchen belieferte. Backwaren, die älter als einen Tag waren, wurden in große Säcke gefüllt und als Schweine- oder Hühnerfutter für wenige Cent an die Farmer verkauft. Auch wir haben uns jede Woche einen solchen Sack gekauft, denn noch waren wir mittellose Einwanderer. Beim Fleischer gab es Fleischknochen und Innereien – Leber, Niere, Lunge, Hirn –, alles umsonst. Diese „Schlachtreste“ haben sich die Hundebesitzer für ihre Hunde oder die Trapper als Köder für ihre Fallen geholt. Aber auch viele Schwarze, die getrennt von den Weißen in den Armenvierteln wohnten, bedienten sich. Auch wir holten uns diese Leckerbissen und konnten kaum glauben, dass sie einfach verschenkt wurden.
Guerillas gegen Maos Truppen
Ich verdiente mein eigenes Geld mit Zeitungsaustragen und indem ich einem Nachbarn, einem alten deutsch-amerikanischen Hufschmied, beim Gärtnern half. Dem Alten bin ich dankbar, denn bei ihm lernte ich die täglichen Pflegemaßnahmen für den Gemüse- und Obstgarten sowie die Kompostierung kennen. Wenn ich nicht arbeitete, zog es mich in den Wald. Häufig schlief ich am Wochenende auf Moos gebettet unter dem Laubdach. Und während der dreimonatigen Sommerferien verbrachte ich oft ganze Wochen in der Waldwildnis. Weit weg von den Menschen schlug ich mein Lager auf, beobachtete die Tiere, erforschte Bachläufe und Hügel.
Und immer versuchte ich vom Land zu leben, so gut es ging. Am Lagerfeuer kochte ich mir Mais und Kartoffeln zusammen mit Wildspargel und Wildkräutern. Ich sammelte Wildobst, unter anderem Holzäpfel, Wildbirnen, Maulbeeren, Brombeeren, Himbeeren, Hagebutten, Erdbeeren, die kleinen, zuckersüßen Beeren des Zürgelbaums (engl. hackberry ), der auch in Mitteleuropa gelegentlich in Parks anzutreffen ist, und die wilden, mit den Kaki-Früchten verwandten Dattelpflaumen (engl. persimmon ). Das Bedürfnis, sich überall selbst versorgen zu können, gekoppelt mit einem Misstrauen gegen die so selbstsichere, im Überfluss lebende Gesellschaft, war tief in mir verwurzelt. In der Schule lernten wir zwar, dass der Fortschritt unaufhaltbar sei. Der Lehrer zeichnete uns das Bild von einer immer effizienter werdenden Landwirtschaft der Zukunft, wo Maschinen alles machen und der Farmer im weißen Kittel nur noch
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