Der seltsame Mr Quin
gehöre Ihnen«, fuhr Mr Sattersway fort. »Doch haben Sie den Mut, die Möglichkeit zu bestreiten, dass Sie in einem gigantischen Drama unter der Leitung eines göttlichen Regisseurs mitspielen? Vielleicht kommt Ihr Stichwort erst am Ende des Stücks, vielleicht haben Sie gar keine Sprechrolle, und doch kann der Ausgang des Stücks von Ihnen abhängen, weil durch Ihr Fehlen ein Mitspieler seinen Einsatz vergisst. Das ganze Gebäude könnte einstürzen. Sie als Individuum müssen nicht unbedingt wichtig für jemanden sein, doch Sie als Person, die sich zu irgendeinem Zeitpunkt an irgendeinem Ort befindet, könnte unvorstellbar wichtig sein.«
Sie setzte sich, von seinen Worten beeindruckt. »Was soll ich tun?«, fragte sie nur.
Das war für Mr Sattersway der Augenblick des Triumphes. Er gab seine Befehle. »Ich verlange von Ihnen jetzt nur eines. Dass Sie in den nächsten vierundzwanzig Stunden nichts Unüberlegtes tun.«
Sie antwortete nicht sofort. Nach einer Pause meinte sie: »Einverstanden.«
»Ich habe noch etwas auf dem Herzen – eine Bitte.«
»Ja?«
»Lassen Sie den Laden in dem Zimmer, in das ich heute zuerst kam, unverschlossen, und halten Sie dort heute Abend Wache.«
Sie sah ihn neugierig an und nickte dann.
»Und jetzt«, erklärte Mr Sattersway, der die Folgen des anstrengenden Gesprächs zu spüren begann, »muss ich wirklich gehen. Gott segne Sie, meine Liebe!«
Er wirkte irgendwie verlegen. Das kräftige spanische Mädchen erwartete ihn im Gang und ließ ihn durch eine Seitentür hinaus. Neugierig blickte sie ihm nach.
Es wurde eben dunkel, als er im Hotel eintraf. Auf der Terrasse saß eine einsame Gestalt. Mr Sattersway ging zielstrebig auf sie zu. Er war aufgeregt, und das Herz klopfte ihm bis in den Hals. Er wusste, dass es unendlich wichtig war, wie er sich jetzt verhielt. Ein falscher Schritt…
Doch er bemühte sich, seine Aufregung zu verbergen und ganz ungezwungen und unverbindlich mit Anthony Cosdon zu reden.
»Ein warmer Abend«, bemerkte er. »Während ich auf der Klippe so dasaß, habe ich jedes Zeitgefühl verloren.«
»Sind Sie die ganze Zeit über dort gewesen?«
Mr Sattersway nickte. Die Schwingtür des Hotels öffnete sich, und ein Gast trat heraus. Dabei fiel ein Lichtstrahl auf Cosdon. Mr Sattersway sah das dumpfe Leid, die verständnislose Resignation auf Cosdons Gesicht.
Für ihn ist es schlimmer, als es für mich wäre, dachte Mr Sattersway. Fantasie, ein lebhafter Geist – die können einem sehr helfen. Sogar den Schmerz kann man damit bekämpfen. Das verständnislose blinde Leiden eines Tieres – das ist entsetzlich.
Plötzlich sagte Cosdon rau: »Ich gehe nach dem Essen noch etwas spazieren. Sie verstehen schon. Aller guten Dinge sind drei. Und ich bitte Sie inständig, sich nicht einzumischen. Ich weiß ja, dass Sie es gut meinen und so weiter, doch glauben Sie mir, es hat keinen Zweck!«
Mr Sattersway straffte sich. »Ich mische mich nie in anderer Leute Angelegenheiten«, erklärte er, womit er Sinn und Zweck seiner ganzen Existenz verleugnete.
»Ich weiß genau, was Sie denken…«, fuhr Cosdon fort.
Dann wurde er unterbrochen.
»Entschuldigen Sie«, sagte Mr Sattersway, »da bin ich nicht Ihrer Meinung. Kein Mensch kann wissen, was der andere denkt. Man bildet es sich nur ein, und meistens täuscht man sich.«
»Na ja, schon möglich.« Cosdons Stimme klang zweifelnd und leicht bestürzt.
»Es ist Ihr Leben«, sagte Mr Sattersway. »Niemand kann Ihre Entscheidung beeinflussen oder ändern. Unterhalten wir uns lieber über ein weniger schmerzliches Thema. Zum Beispiel diese alte Villa. Sie besitzt einen seltsamen Charme, so abgelegen und geschützt vor der Welt. Wer weiß, was für ein Geheimnis sie birgt. Ich geriet in Versuchung und habe probiert, ob ein Laden offen ist.«
»Das haben Sie getan?« Cosdon wandte ihm ruckartig das Gesicht zu. »Natürlich war er verschlossen?«
»Nein«, erwiderte Mr Sattersway. »Er war offen.« Dann fügte er freundlich hinzu: »Der Dritte von der Ecke aus.«
»Aber!«, rief Cosdon, »das war doch…«
Er schwieg, doch Mr Sattersway hatte den plötzlichen Hoffnungsschimmer in seinen Augen bemerkt.
Ein leichtes Unbehagen blieb bei Mr Sattersway zurück. Sein Lieblingsbild benutzend überlegte er, ob er die wenigen Sätze, die er in diesem Drama sprechen musste, auch richtig vorgebracht hatte. Denn es waren sehr wichtige Sätze gewesen.
Doch eigentlich war er mit sich als Schauspieler zufrieden. Auf dem
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