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Der seltsame Mr Quin

Der seltsame Mr Quin

Titel: Der seltsame Mr Quin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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weiter und weiter herantastete.
    »Es ist besser, wenn ich es nicht weiß, sagen Sie? Besser für mich? Aber Sie sind keine sehr rücksichtsvolle Frau. Es würde Ihnen nichts ausmachen, einem Fremden vorübergehend Unannehmlichkeiten zu bereiten. Also muss es mehr sein. Wenn Sie es mir verraten, machen Sie mich zum Mittäter. Das klingt nach einem Verbrechen. Seltsam! Ich würde Ihre Person nie mit so etwas in Zusammenhang bringen. Nur mit einer einzigen Art von Verbrechen. Einem Verbrechen, das sich gegen Sie selbst richtet.«
    Da musste sie den Blick senken. Mr Sattersway beugte sich vor.
    »Das ist es also! Sie wollen sich das Leben nehmen.«
    Sie stieß einen leisen Schrei aus. »Wie haben Sie das nur erraten? Ich begreife es nicht!«
    »Aber warum? Sie sind nicht lebensmüde. Ich habe noch nie eine Frau gesehen, die so überschäumt vor Leben wie Sie.« Sie stand auf und trat ans Fenster, wobei sie sich eine Strähne ihres dunklen Haares aus der Stirn schob.
    »Da Sie bereits soviel erraten haben, kann ich Ihnen auch noch den Rest der Geschichte erzählen. Ich hätte Sie nicht ins Haus lassen sollen! Ich hätte wissen müssen, dass Sie mehr als nur die Oberfläche sehen! Sie gehören zu dieser Art von Menschen. Was den Grund betrifft, so hatten Sie Recht. Es handelt sich um meinen Sohn. Er hat keine Ahnung. Als er das letzte Mal während der Ferien bei mir war, sprach er sehr bedauernd von einem Freund, und damals fand ich etwas Wichtiges heraus: Wenn er entdeckt, dass er ein uneheliches Kind ist, bricht es ihm das Herz! Er ist stolz, schrecklich stolz! Da ist ein Mädchen… Ach, ich will gar keine Einzelheiten erzählen. Aber er kommt bald, und dann möchte er alles über seinen Vater erfahren – alles! Natürlich sind auch die Eltern des Mädchens daran interessiert. Wenn er die Wahrheit entdeckt, wird er mit ihr brechen, sich verkriechen, sein Leben ruinieren. Ja, ich weiß, was Sie sagen wollen: Er sei noch jung, unerfahren, dickköpfig und so weiter. Vielleicht stimmt das alles, aber spielt es eine Rolle? Er ist nun einmal so, wie er ist! Es würde ihm das Herz brechen! Doch wenn vor seiner Ankunft ein Unfall passiert, werden alle Fragen im Kummer um mich untergehen. Er wird meine Papiere durchsehen, nichts finden und höchstens ärgerlich sein, weil ich ihm so wenig erzählt habe. Doch er wird die Wahrheit nicht vermuten. Es ist die beste Lösung. Man muss für sein Glück bezahlen, und ich war so glücklich… und der Preis ist nicht hoch. Etwas Mut… ein Sprung… vielleicht eine Sekunde Angst…«
    »Aber mein liebes Kind…«
    »Versuchen Sie nicht, mich zu überreden!« Ihre Augen sprühten Funken. »Ich möchte die üblichen Argumente nicht hören! Mein Leben gehört mir! Bisher wurde ich gebraucht. John brauchte mich. Doch jetzt nicht mehr. Er braucht eine Freundin, eine Geliebte, und er wird sich ihr umso mehr zuwenden, wenn ich nicht mehr da bin. Mein Leben ist sinnlos geworden, mein Tod ist es nicht. Es ist mein gutes Recht, mit meinem Leben zu tun, was ich will.«
    »Sind Sie sicher?«
    Sein ernster Ton überraschte sie. Sie antwortete leicht stockend: »Es braucht mich niemand… das kann ich am besten beurteilen…«
    Mr Sattersway unterbrach sie. »Nicht unbedingt«, meinte er.
    »Was heißt das?«
    »Hören Sie zu! Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen. Ein Mann kommt an einen verschwiegenen Ort, sagen wir, um Selbstmord zu begehen. Zufällig ist dort bereits jemand, deshalb kann er seinen Plan nicht ausführen und bleibt am Leben. Der zweite Mann hat also dem ersten das Leben gerettet, nicht weil er ihn brauchte oder in seinem Leben eine Rolle spielte, sondern weil er in einem gewissen Augenblick an einem bestimmten Ort war. Wenn Sie sich heute umbringen, wird vielleicht in fünf, sechs Jahren ein anderer Mensch sterben oder in sein Unglück laufen, nur weil Sie dann nicht zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort sein können. Vielleicht ist es ein wild gewordenes Pferd, das eine Straße entlangläuft, bei Ihrem Anblick scheut und so das Kind nicht zu Tode trampelt, das im Rinnstein spielt. Dieses Kind wächst heran und wird vielleicht ein großer Musiker oder entdeckt ein Mittel gegen den Krebs. Oder weniger dramatisch, es wächst heran und lebt ein durchschnittliches Leben mit all seinen Freuden und Leiden.«
    Sie starrte ihn erstaunt an. »Was für ein seltsamer Mensch Sie sind. Was Sie da sagen… ich habe mir diese Dinge noch nie überlegt.«
    »Sie finden, Ihr Leben

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