Der seltsame Mr Quin
Weg zu den Klippen würde Cosdon bestimmt feststellen wollen, ob der Laden offen war. Dieser Versuchung würde er nicht widerstehen können. Die Erinnerung an das Liebesabenteuer vor über zwanzig Jahren hatte ihn an diesen Ort geführt. Dieselbe Erinnerung würde ihn zu dem Haus locken. Und danach?
Morgen werde ich es wissen, dachte er, während er sich zum Abendessen umzog.
Am nächsten Morgen gegen zehn Uhr setzte Mr Sattersway erneut den Fuß in den Garten von La Paz. Manuel wünschte ihm lächelnd einen guten Morgen und reichte ihm eine Rosenknospe, die sich Mr Sattersway sorgfältig ins Knopfloch steckte. Dann schlenderte er auf das Haus zu. Ein paar Minuten stand er da und betrachtete das friedliche weiße Haus, die verblassten grünen Läden. Alles war still. Hatte er etwa nur geträumt?
In diesem Augenblick öffnete sich eine Fenstertür, und die Frau, mit der sich Mr Sattersway in Gedanken beschäftigt hatte, trat heraus. Mit federnden Schritten, als könne sie ihr Glück kaum fassen, kam sie auf Mr Sattersway zu. Ihre Augen leuchteten, ihre Wangen waren gerötet, eine strahlende Verkörperung der Freude. Kein Zögern, kein Zagen, kein Zittern war mehr an ihr zu bemerken. Sie ging direkt auf Mr Sattersway zu, legte ihm die Hände auf die Schultern und küsste ihn, nicht nur einmal, sondern immer wieder. Wie große dunkelrote Rosen, sehr samtig – so sah er es, wenn er später an die Szene zurückdachte. Sonnenschein, Sommer, zwitschernde Vögel – das alles wurde ihm plötzlich sehr stark bewusst. Wärme, Kraft und eine ungeheure Lebensfreude…
»Ich bin so glücklich!«, rief sie. »Wieso wussten Sie es? Wie konnten Sie es überhaupt wissen? Sie sind wie die gute Fee im Märchen.« Sie schwieg atemlos, als könne sie vor Freude nicht weitersprechen. Dann holte sie tief Luft und sagte:
»Wir fahren heute hinüber… zum Konsul… und lassen uns trauen. Wenn John eintrifft, wartet sein Vater schon auf ihn. Wir erzählen ihm einfach, dass es irgendwelche Missverständnisse gegeben hat. Ach, er wird keine Fragen stellen! Oh, ich bin so glücklich… so glücklich!«
Sie strahlte soviel Glück und Freude aus, dass sich Mr Sattersway wie von einer warmen, heiteren Welle umspült fühlte.
»Anthony findet es großartig, dass er einen Sohn hat. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass es ihm wichtig ist.« Voll Vertrauen sah sie Mr Sattersway in die Augen. »Ist es nicht seltsam, wie sich am Ende immer alles zum Guten wendet?«
Da hatte er zum ersten Mal ein ganz klares Bild von ihr. Sie war immer noch ein Kind, mit ihrer Vorliebe für eine Scheinwelt, für Märchen, die stets gut endeten… »und sie lebten glücklich bis an ihr Ende…«
»Wenn Sie Freude in die letzten Monate seines Lebens bringen«, sagte Mr Sattersway, »dann ist dies in der Tat ein großes Glück.«
Sie riss erstaunt die Augen auf. »Aber!«, rief sie, »Sie glauben doch nicht, dass ich es zulasse? Er darf nicht sterben! Nach all den Jahren… wenn er endlich zu mir gekommen ist! Ich kenne eine Menge Leute, die die Ärzte aufgegeben hatten und die heute noch leben! Wieso sterben? Natürlich wird er nicht sterben!«
Er sah sie an. Was für eine Kraft sie ausstrahlte, was für Lebensfreude, welchen Mut. Und wie schön sie war! Auch er kannte einige Ärzte, die sich in der Diagnose einmal getäuscht hatten. Der persönliche Einfluss – man wusste nie, wie viel oder wie wenig er zählte.
Voll Verachtung und Belustigung sagte sie: »Sie glauben doch nicht, dass ich so etwas zulasse? Dass er stirbt?«
»Nein«, erwiderte Mr Sattersway schließlich sehr freundlich. »Irgendwie, meine Liebe, werden Sie es nicht zulassen.«
Kurz darauf schritt Mr Sattersway den Zypressenpfad entlang, bis zu der Bank auf dem Plateau. Dort saß schon jemand, wie er es erwartet hatte. Mr Quin stand auf und begrüßte ihn. Er sah aus wie immer – dunkel, schwermütig.
»Sie hatten vermutet, dass ich hier sein würde?«, fragte er lächelnd.
»Ja«, antwortete Mr Sattersway nur.
Sie setzten sich nebeneinander auf die Bank.
»Ich habe so eine Ahnung, dass Sie wieder einmal Schicksal gespielt haben«, meinte Mr Quin. »Nach Ihrer Miene zu schließen«, fügte er hinzu.
Mr Sattersway sah ihn vorwurfsvoll an. »Als ob Sie es nicht wüssten!«
»Sie beschuldigen mich ständig der Allwissenheit«, sagte Mr Quin.
»Wenn Sie keine Ahnung hatten, warum waren Sie dann vorletzte Nacht hier?«, entgegnete Mr Sattersway.
»Ach,
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