Der seltsame Mr Quin
den gegebenen Umständen unvermeidlich… doch gewiss nicht mehr. Die Leute passten sich an. An seiner Vorahnung einer nahenden Katastrophe waren nur die Nerven schuld – eine reine Nervensache –, oder vielleicht die Leber. Ja, das war es: die Leber. In vierzehn Tagen sollte er in Karlsbad sein. Aus eigenem Impuls schlug er am Abend, als es zu dämmern begann, Major Porter vor, einen kleinen Spaziergang zu machen. Er würde gern zur Lichtung gehen und feststellen, ob Mrs Unkerton Wort gehalten hatte und eine neue Scheibe eingesetzt worden war. Bewegung, dachte er im Stillen, das ist es, was ich brauche, Bewegung!
Gemütlich wanderten die beiden Männer durch den Wald. Porter war wie immer schweigsam.
»Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren«, sagte Mr Sattersway gesprächig, »dass unsere Fantasie gestern etwas mit uns durchgegangen ist. Ich meine, als wir – hm – Schwierigkeiten witterten. Schließlich bleibt den Leuten nichts anderes übrig, als sich ordentlich zu benehmen – sie müssen ihre Gefühle unterdrücken und all so was.«
»Vielleicht«, antwortete Porter. Und fügte nach ein oder zwei Minuten hinzu: »Zumindest zivilisierte Leute.«
»Wie meinen Sie das?«
»Wenn jemand lange außerhalb jeder Zivilisation gelebt hat, ändert er sich manchmal. Er kehrt zu den Ursprüngen zurück, oder wie immer Sie es nennen wollen.«
Sie traten auf den grasbewachsenen Hügel hinauf. Mr Sattersway atmete ziemlich schnell. Bergan zu laufen missfiel ihm stets.
Er blickte zum Fenster hin. Das Gesicht war noch da, lebendiger denn je.
»Unsere Gastgeberin hat sich anders besonnen, wie ich sehe.«
Porter streifte das Fenster nur mir einem flüchtigen Blick. »Unkerton ist vermutlich grob geworden«, bemerkte er gleichgültig. »Er gehört zu dem Typ Menschen, der auch auf den Geist einer fremden Familie stolz ist und nicht riskieren möchte, dass er verschwindet, weil er schließlich dafür bar bezahlt hat.«
Wieder schwieg er ein oder zwei Minuten und starrte – statt auf das Haus – auf das dichte Unterholz, das die Lichtung umgab. »Ist Ihnen jemals aufgefallen«, sagte er dann, »dass die Zivilisation verdammt gefährlich ist?«
»Gefährlich?« Eine solche revolutionäre Bemerkung erschütterte Mr Sattersway bis ins Mark.
»Ja. Es gibt keine Sicherheitsventile, verstehen Sie?«
Er wandte sich ruckartig um, und sie gingen den Weg hinunter, den sie gekommen waren.
»Wirklich, Ihre Bemerkung hat mich etwas verwirrt«, sagte Mr Sattersway, eilig neben seinem Begleiter hertrippelnd, um mit dessen weit ausholenden Schritten mithalten zu können. »Vernünftige Leute…«
Porter lachte, ein kurzes, beunruhigendes Lachen. Dann blickte er auf den korrekten kleinen Gentleman an seiner Seite hinunter.
»Sie halten das alles für ein leeres Gerede von mir, Mr Sattersway? Aber es gibt Leute, wissen Sie, die erkennen die Vorboten eines Sturms. Sie spüren, dass etwas in der Luft liegt. Und andere Leute wieder können Schwierigkeiten vorhersagen. Es wird etwas passieren, Mr Sattersway, etwas sehr Schlimmes. Vielleicht schon in den nächsten Minuten. Vielleicht…«
Er brach ab und ergriff Mr Sattersway am Arm. Und in den folgenden angespannten Sekunden des Schweigens hörten sie es: zwei Schüsse und dann einen Schrei. Den Schrei einer Frau.
»Mein Gott!«, rief Porter. »Da haben wir es!«
Er lief den Pfad hinab, Mr Sattersway folgte ihm keuchend. Eine Minute später erreichten sie die Wiese, dicht bei der Hecke des »Verschwiegenen Gartens«. Gleichzeitig tauchten Richard Scott und Mr Unkerton an der gegenüberliegenden Hausecke auf. Sie blieben stehen und sahen sich an.
»Es – es kam von dort«, sagte Unkerton und wies mit einer fleischigen Hand auf die Hecke.
»Wir müssen hineingehen und nachsehen«, antwortete Porter. Er schritt den andern voran den gewundenen Weg zum Eingang entlang. Als er die letzte Biegung der Hecke erreichte, blieb er wie erstarrt stehen. Mr Sattersway spähte ihm über die Schulter. Richard Scott stieß einen gellenden Schrei aus.
Drei Menschen befanden sich im »Verschwiegenen Garten«. Zwei von ihnen lagen bei der Steinbank im Gras, ein Mann und eine Frau. Die dritte Person war Mrs Staverton. Sie stand dicht bei ihnen, in der Nähe der Stechpalmenhecke, und blickte mit schreckgeweiteten Augen ins Leere. Sie hielt etwas in der rechten Hand.
»Iris!«, rief Porter. »Iris! Um Gottes willen! Was hältst du da in der Hand?«
Sie blickte sie an – mit einer Art
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