Der seltsame Mr Quin
sein Gegenüber.
»Vermutlich schon. Der Butler, zum Beispiel. Er dürfte es wissen. Oder sicherlich Thompson, der Sekretär. Er müsste es wissen.«
Er schwieg erneut. Als er wieder sprach, klang seine Stimme beinahe bittend. »Nicht, dass mich die Sache etwas anginge, nicht wahr?«
»Dass ein junger Mann in etwas mehr als drei Wochen gehängt wird, meinen Sie?«
»Nun, ja – wenn Sie es so ausdrücken, wahrscheinlich doch. Ja, ich verstehe, was Sie meinen. Eine Frage von Leben und Tod. Und dazu das arme Mädchen! Ich bin nicht hartherzig – aber, was würde es schon nützen? Ist die ganze Geschichte nicht ziemlich fantastisch? Selbst wenn ich herausfinde, wo in Kanada die Frau ist – es würde wohl bedeuten, dass ich persönlich hinfahren müsste.«
Jetzt war Mr Sattersway wirklich sehr erregt. »Und ich wollte nächste Woche an die Riviera fahren«, sagte er pathetisch.
Der Blick, den er Mr Quin zuwarf, verriet klar und deutlich: Das tun Sie mir doch nicht an, nicht wahr?
»Sind Sie noch nie in Kanada gewesen?«
»Noch nie.«
»Ein sehr interessantes Land.«
Mr Sattersway sah ihn unentschlossen an. »Meinen Sie, ich sollte hinfahren?«
Mr Quin lehnte sich in seinem Stuhl zurück und zündete sich eine Zigarette an. Kleine Rauchwolken ausstoßend, begann er zu sprechen.
»Soviel ich weiß, sind Sie ein reicher Mann, Mr Sattersway. Kein Millionär, doch ein Mann, der seine Hobbys pflegen kann, ohne auf die Ausgaben achten zu müssen. Sie haben das Schauspiel, das andere Leute boten, immer als Zuschauer betrachtet. Ist es Ihnen nie in den Sinn gekommen, selbst eine Rolle zu spielen? Haben Sie sich nie auch nur für eine Minute als der Richter über das Schicksal anderer gesehen, als jemand, der mitten auf der Bühne steht und Leben und Tod in seinen Händen hält?«
Mr Sattersway beugte sich vor. Die alte Begeisterung war wieder da.
»Sie meinen, ich sollte rein auf Verdacht nach Kanada…«
Mr Quin lächelte. »Oh! Es war Ihr Vorschlag, hinzufahren, nicht meiner«, sagte er leichthin.
»So können Sie mich nicht abspeisen«, erklärte Mr Sattersway ernst. »Immer wenn ich Ihnen begegne…« Er brach ab.
»Nun?«
»Es ist etwas an Ihnen, das ich nicht verstehe. Vielleicht werde ich es niemals verstehen. Das letzte Mal, als ich Sie traf…«
»Es war am Abend der Sommersonnenwende.«
Mr Sattersway erschrak, als stecke hinter diesem Wort noch ein anderer Sinn, den er nicht begriff.
»Tatsächlich?«, sagte er verwirrt.
»Ja. Doch lassen wir das. Es ist unwichtig, oder etwa nicht?«
»Wenn Sie es sagen«, antwortete Mr Sattersway höflich. Er hatte das Gefühl, dass er irgendeinen bedeutenden Hinweis übersah. »Wenn ich aus Kanada zurückkomme«, er schwieg etwas verlegen, »dann würde ich… dann würde ich Sie gern treffen.«
»Ich habe leider im Augenblick keine feste Adresse«, erklärte Mr Quin bedauernd. »Aber ich komme oft hierher. Wenn Sie ebenfalls häufig in diesem Lokal essen, werden wir uns über kurz oder lang sicherlich wieder begegnen.«
Sie trennten sich in aller Freundschaft.
Mr Sattersway war sehr aufgeregt. Er eilte zum nahe gelegenen Cook-Reisebüro und erkundigte sich nach dem nächsten Schiff. Dann rief er in Deering Hill an. Ein Butler mit einer glatten und beflissenen Stimme meldete sich.
»Mein Name ist Sattersway. Ich spreche im Auftrag einer Anwaltskanzlei. Ich möchte mich wegen einer jungen Frau erkundigen, die bis vor Kurzem bei Ihnen als Hausmädchen gearbeitet hat.«
»Könnte es sich um Louisa handeln, Sir? Um Louisa Bullard?«
»Ja, so heißt sie«, erklärte Mr Sattersway, äußerst froh, dass er nun ihren Namen kannte.
»Leider ist sie nicht mehr in England, Sir. Vor sechs Monaten fuhr sie nach Kanada.«
»Können Sie mir ihre augenblickliche Adresse geben?«
Der Butler bedauerte. Es sei irgendein Ort in den Bergen, ein schottisch klingender Name. Ja, es fiel ihm wieder ein, Banff, so habe der Ort geheißen. Einige andere junge Damen im Hause hatten auf ein Lebenszeichen von ihr gehofft, aber sie habe nie geschrieben oder ihnen ihre Adresse gegeben.
Mr Sattersway bedankte sich und hängte ein. Er war immer noch voll Zuversicht, seine Abenteuerlust so groß wie vorher. Er würde nach Banff fahren. Wenn Louisa Bullard dort war, würde er sie irgendwie aufspüren.
Zu seinem Erstaunen genoss er die Fahrt sehr. Es war viele Jahre her, dass er eine längere Seereise unternommen hatte. Die Riviera, Le Touquet, Deauville und Schottland waren
Weitere Kostenlose Bücher