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Der seltsame Mr Quin

Der seltsame Mr Quin

Titel: Der seltsame Mr Quin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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gewöhnlich sein Ziel. Das Gefühl, dass er in einer unmöglichen Sache unterwegs war, gab der Reise noch die geheime Würze. Für was für einen Dummkopf würden ihn seine Mitreisenden wohl halten, wenn sie wüssten, warum er auf dem Schiff war. Aber schließlich – kannten sie Mr Quin nicht.
    In Banff hatte er sofort Erfolg. Louisa Bullard arbeitete dort in einem großen Hotel. Zwölf Stunden nach seiner Ankunft stand er ihr von Angesicht zu Angesicht gegenüber.
    Sie war eine Frau von ungefähr fünfunddreißig Jahren, etwas blutarm, aber mit einer kräftigen Figur. Sie hatte hellbraunes, lockiges Haar und ein Paar ehrliche braune Augen. Sie war, dachte Mr Sattersway, etwas dumm, aber sehr vertrauenswürdig.
    Sie glaubte es ihm sofort, als er erklärte, er sei gekommen, um noch nähere Einzelheiten über die Tragödie von Deering Hill zu erfahren.
    »Ich habe in der Zeitung gelesen, dass Mr Martin Wylde schuldig gesprochen wurde, Sir. Das ist wirklich auch sehr traurig.«
    Allem Anschein nach hatte sie keinen Zweifel an seiner Schuld.
    »Ein netter junger Mann, der auf Abwege geraten ist. Ich will ja nicht schlecht von den Toten reden, aber eigentlich war die Lady schuld. Sie hat ihn dazu verleitet. Sie ließ ihn einfach nicht in Ruhe. Na, nun haben sie beide ihre Strafe gekriegt. Als Kind hatte ich an der Wand einen Spruch hängen: ›Gott lässt seiner nicht spotten‹, und das ist sehr wahr. Ich wusste, dass an jenem Abend etwas passieren würde, und genauso ist es gekommen!«
    »Wieso denn das?«, fragte Mr Sattersway.
    »Ich war auf meinem Zimmer, Sir, und zog mich um. Zufällig blickte ich aus dem Fenster. Draußen fuhr ein Zug vorbei, und der weiße Rauch stieg in den Himmel, und ob Sie’s glauben oder nicht, er sah aus wie eine riesige Hand. Eine riesige weiße Hand am rosa Abendhimmel. Die Finger waren gekrümmt, als wollten sie nach irgendetwas greifen. Richtig unheimlich! ›Hast du so etwas schon erlebt?‹, sagte ich. ›Das ist ein böses Zeichen.‹ Und genau in dem Augenblick hörte ich den Schuss. ›Da haben wir es!‹, rief ich, lief hinunter und stieß auf Carrie und die andern, die in der Halle standen. Wir gingen ins Musikzimmer, und da lag sie, in den Kopf geschossen und überall Blut und so. Schrecklich! Da habe ich den Mund aufgemacht, wirklich, und Sir George erzählt, dass ich am Himmel ein Zeichen gesehen hätte, doch er schien nicht viel davon zu halten. Ein Unglückstag war das gewesen. Schon am Morgen spürte ich es in allen Knochen. Ein Freitag und der Dreizehnte – was kann man da anderes erwarten?«
    Sie redete immer weiter. Mr Sattersway war ungeduldig. Immer wieder brachte er das Gespräch auf das Verbrechen zurück und fragte sie genau aus. Schließlich musste er seine Niederlage zugeben. Louisa Bullard hatte erzählt, was sie wusste, und ihre Geschichte war ziemlich simpel und eindeutig.
    Trotzdem entdeckte er einen einzigen wichtigen Punkt. Ihre jetzige Stelle hatte sie durch Mr Thompson, Sir Georges Sekretär, bekommen. Das Gehalt war so hoch, dass sie der Versuchung nicht widerstehen konnte und den Posten annahm, obwohl sie sofort England verlassen musste. Ein Mr Denman hatte in Kanada alle Formalitäten erledigt und ihr auch geraten, nicht nach England zu schreiben, weil sie deswegen »Schwierigkeiten mit der Einwanderungsbehörde« bekommen könnte. Sie hatte ihm blind geglaubt.
    Das Gehalt, das sie im Laufe ihres Gesprächs erwähnte, war tatsächlich so hoch, dass es Mr Sattersway verdächtig erschien. Nach längerem Zögern beschloss er, Mr Denman aufzusuchen.
    Wie er feststellte, war es nicht schwierig, von Mr Denman zu erfahren, was dieser wusste. Er hatte Thompson in London kennen gelernt, und Thompson hatte ihm einmal einen großen Gefallen getan. Im September war dann ein Brief von Thompson gekommen, dass Sir George aus persönlichen Gründen das junge Mädchen aus England wegschicken wolle. Ob er wohl für sie Arbeit finden könne? Eine bestimmte Geldsumme war überwiesen worden, um ihr Gehalt zu erhöhen.
    »Wahrscheinlich die üblichen Schwierigkeiten«, meinte Mr Denman und lehnte sich weltmännisch in seinem Stuhl zurück. »Offenbar ein nettes, ruhiges Mädchen.«
    Mr Sattersway war nicht der Meinung, dass es sich in diesem Fall um die »üblichen Schwierigkeiten« handelte. Louisa Bullard war nicht Sir George Barnabys verflossene Geliebte. Davon war er überzeugt. Aus irgendeinem Grund war es lebenswichtig gewesen, sie aus dem Land zu schicken. Aber

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