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Der seltsame Mr Quin

Der seltsame Mr Quin

Titel: Der seltsame Mr Quin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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sie.
    »Sie hasste ihn, verstehen Sie? Sie hatte ihn geheiratet, ohne zu wissen, was sie tat. Und dann…«
    Sie war verzweifelt – wie er es ausdrückte. Sie überlegte hin und her. Sie besaß kein eigenes Geld. Sie war von diesem ältlichen Ehemann völlig abhängig. Doch trotz allem war sie ein Geschöpf, das nicht resignieren wollte – sich der eigenen Kräfte noch nicht bewusst, mit einer Schönheit, die noch mehr ein Versprechen war. Und sie war gierig, wie Mr Sattersway mit aller Entschiedenheit betonte. Abgesehen von ihrem Trotz hatte sie etwas Gieriges an sich – sie besaß eine ungeheure Lebensgier.
    »Martin Wylde lernte ich nie kennen«, fuhr Mr Sattersway fort. »Doch ich habe viel von ihm gehört. Er wohnte keine Meile entfernt. Ackerbau, das war sein Beruf. Und sie begann sich dafür zu interessieren – oder tat zumindest so. Wenn Sie mich fragen, dann hat sie nur so getan. Ich glaube, sie sah in ihm die einzige Möglichkeit zu entkommen. Und sie ließ nicht von ihm ab, hartnäckig wie ein kleines Kind. Nun, es kam, wie es kommen musste. Wir wissen, was für ein Ende die Sache nahm, denn im Gericht wurden die Briefe verlesen. Er hob ihre Briefe auf – sie die seinen nicht, doch nach dem Inhalt der ihren zu schließen, begannen seine Gefühle abzukühlen. Soviel gibt er auch zu. Da war noch das andere Mädchen. Sie wohnte im Dorf Deering Vale. Ihr Vater ist der Arzt des Ortes. Vielleicht haben Sie sie im Gerichtssaal gesehen? Nein, ich erinnere mich, Sie waren nicht dort, wie Sie mir sagten. Ich werde sie Ihnen beschreiben müssen. Ein blondes Mädchen – sehr blond. Zart. Vielleicht – ja, vielleicht ein ganz klein wenig dumm. Aber sehr ruhig, wissen Sie. Und treu. Vor allem treu.«
    Mit einem Ermunterung heischenden Blick sah Mr Sattersway Mr Quin an, der ihm wohlwollend zulächelte. Mr Sattersway fuhr fort: »Sie haben gehört, was in ihrem letzten Brief stand, oder vielmehr, Sie haben ihn in der Zeitung gelesen. Ich meine den, den sie am Freitag, dem 13. September, morgens schrieb. Er ist voll von Verzweiflung, Vorwürfen und vagen Drohungen und endet damit, dass sie Martin Wylde bittet, noch am gleichen Abend um sechs Uhr nach Deering Hill zu kommen. ›Ich lasse die Hintertür unverschlossen, denn niemand braucht zu erfahren, dass du mich besuchen kommst. Ich werde im Musikzimmer sein.‹ Ein Bote überbrachte ihn.«
    Mr Sattersway schwieg eine Minute oder zwei.
    »Sie erinnern sich, dass er bei seiner Verhaftung behauptete, an dem bewussten Abend überhaupt nicht in jenem Haus gewesen zu sein. Er erklärte, dass er sein Gewehr geholt und zum Jagen in den Wald gegangen sei. Doch als die Polizei die Beweise auf den Tisch legte, war seine Aussage nichts mehr wert. Man fand seine Fingerabdrücke, wie Sie sich erinnern werden, sowohl auf dem Holz der Hintertür, als auch auf dem einen der beiden Cocktailgläser auf dem Tisch im Musikzimmer. Da gab er zu, dass er Lady Barnaby besucht hatte, dass sie eine stürmische Auseinandersetzung hatten, doch dass es ihm schließlich gelang, sie zu beruhigen. Er schwor, dass er seine Waffe draußen bei der Tür an die Wand gelehnt zurückließ und Lady Barnaby gesund und munter gewesen sei, als er ging. Das war ein oder zwei Minuten nach Viertel nach sechs. Er ging direkt nachhause, behauptete er, doch den Zeugenaussagen nach war er erst um Viertel vor sieben Uhr dort, und dabei ist es, wie ich eben erwähnte, kaum eine Meile weit. Man braucht keine halbe Stunde für die Strecke. Er hätte sein Gewehr ganz vergessen, behauptete er. Eine nicht sehr glaubhafte Erklärung… und doch…«
    »Und doch?«, fragte Mr Quin.
    »Nun«, sagte Mr Sattersway zögernd. »Es wäre doch möglich, nicht wahr? Der Anklagevertreter machte die Annahme natürlich lächerlich, doch ich glaube, er irrte sich. Wissen Sie, ich kenne viele junge Männer, und derartige gefühlvolle Auseinandersetzungen regen sie sehr auf – vor allem den dunklen nervösen Typ wie Martin Wylde. Frauen dagegen können eine solche Szene durchmachen und fühlen sich danach entschieden besser. Und haben noch ihre fünf Sinne beisammen. Bei ihnen hat so etwas die Funktion eines Sicherheitsventils. Beruhigt die Nerven und dergleichen. Doch ich sehe förmlich, wie Martin Wylde davongeht, in seinem Kopf ist ein großes Durcheinander, er fühlt sich elend und unglücklich, ohne einen einzigen Gedanken an die Waffe, die er an die Wand gelehnt zurücklässt.«
    Er schwieg einige Minuten, ehe er

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