Der seltsame Mr Quin
sich ihnen. Er war ungefähr fünfundzwanzig Jahre alt und sah sehr gut aus.
»Ich habe dich überall gesucht, Babs«, sagte der junge Mann direkt.
»Wie war’s beim Tennis?«
»Ekelhaft.«
Lady Stranleigh erhob sich. Sie blickte noch einmal zurück und flötete Mr Sattersway zu: »Es ist einfach großartig, dass Sie mir helfen wollen. Das werde ich Ihnen nie vergessen!«
Mr Sattersway blickte dem davongehenden Paar nach.
Ob Bimbo wohl die Nummer fünf wird, überlegte er.
Der Schaffner des Luxuszuges zeigte Mr Sattersway die Stelle, wo vor einigen Jahren ein Unglück passiert war. Als der Mann mit seinem in den lebhaftesten Farben geschilderten Bericht fertig war, blickte Mr Sattersway auf und entdeckte hinter ihm ein bekanntes Gesicht, das ihm freundlich zulächelte.
»Mein lieber Mr Quin!«, rief Mr Sattersway. Sein kleines verwelktes Gesicht war eitel Freude. »Was für ein Zufall! Dass wir mit dem gleichen Zug nach England zurückfahren. Sie fahren doch nach England?«
»Ja«, antwortete Mr Quin. »Ich habe dort etwas ziemlich Wichtiges zu erledigen. Gehen Sie auch zum ersten Abendessen?«
»Das tue ich immer. Natürlich ist es eine idiotische Zeit – halb sieben, aber man riskiert da nicht soviel mit verkochtem Essen.«
Mr Quin nickte verständnisvoll. »Ja«, sagte er. »Vielleicht können wir einen gemeinsamen Tisch bekommen.«
Um halb sieben saßen Mr Quin und Mr Sattersway an einem kleinen Tisch im Speisewagen. Mr Sattersway beschäftigte sich gründlich mit der Weinkarte und sagte dann zu Mr Quin: »Ich habe Sie seit… hm… seit Korsika nicht mehr gesehen. Damals verließen Sie uns ganz plötzlich.«
Mr Quin zuckte mit den Schultern. »Nicht anders als sonst. Ich komme und gehe, wissen Sie. Ich komme und gehe.«
Die Worte schienen ein Echo der Erinnerung in Mr Sattersways Kopf zu wecken. Ein kleiner Schauder lief ihm den Rücken hinunter. Es war nicht unangenehm, ganz im Gegenteil. Er spürte ein köstliches Gefühl der Erwartung.
Mr Quin nahm die Rotweinflasche und betrachtete das Etikett. Die Flasche befand sich zwischen ihm und der Lampe, und ein paar Augenblicke lang war seine Person in ein rotes Glühen gehüllt.
Wieder spürte Mr Sattersway, wie die Erregung in ihm hochstieg. »Ich habe in England auch eine Aufgabe zu erfüllen«, bemerkte er und lächelte dabei breit. »Sicherlich kennen Sie Lady Stranleigh?«
Mr Quin schüttelte den Kopf.
»Alter Adel«, sagte Mr Sattersway. »Sehr alter Adel. Einer der wenigen, der sich auch in der weiblichen Linie vererbt. Sie ist eine Baronin. Wirklich, eine sehr romantische Geschichte.«
Mr Quin lehnte sich entspannt in seinem Stuhl zurück. Der Ober, der den hin und her schwingenden Wagen entlanggetanzt kam, stellte wie aus dem Nichts Tassen mit Suppe vor sie hin. Vorsichtig begann Mr Quin zu essen.
»Sie werden mir auf Ihre wundervolle plastische Art wieder eine Personenbeschreibung geben«, murmelte er. »Habe ich Recht?«
Mr Sattersway strahlte.
»Sie ist eine großartige Frau«, sagte er. »Sechzig, wissen Sie. Ja, ich würde behaupten, sie ist mindestens sechzig. Ich kannte sie schon als Kind, sie und ihre Schwester. Beatrice, das war der Name der älteren, Beatrice und Barbara. Sie hießen überall nur die Barron-Mädchen. Beide waren sehr hübsch und für damalige Verhältnisse unvermögend. Das ist viele Jahre her! Mein Gott, ich war ja selbst ein junger Mann!« Mr Sattersway seufzte. »Mehrere Leute hatten noch ein Anrecht auf den Titel. Der alte Lord Stranleigh hat viele seltsame Dinge erlebt. Drei Verwandte starben ganz plötzlich – zwei Brüder des alten Mannes und ein Neffe. Und dann die Uralia. Erinnern Sie sich an das Schiffsunglück? Sie sank an der Küste von Neuseeland. Die andere, Barbara, war unter den wenigen Überlebenden. Sechs Monate später starb der alte Stranleigh, sie erbte den Titel und ein beträchtliches Vermögen. Seit damals dreht sich ihr Leben nur um eines: um sie selbst. Sie ist sich immer gleich geblieben, schön, skrupellos, hart, egozentrisch. Sie war viermal verheiratet, und ich bin überzeugt, dass sie sofort einen Mann finden könnte.«
Dann berichtete er von dem Auftrag, den Lady Stranleigh ihm gegeben hatte.
»Ich dachte, ich fahre mal nach Abbot’s Mede und besuche die junge Dame«, erklärte er. »Ich finde, dass etwas unternommen werden sollte. Man kann Lady Stranleigh nicht wie eine durchschnittliche Mutter behandeln.« Er schwieg und sah sein Gegenüber an. »Ich wünschte,
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