Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der seltsame Mr Quin

Der seltsame Mr Quin

Titel: Der seltsame Mr Quin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
zu begrüßen oder Kaffee oder Limonade zu ergattern. Mr Sattersway stellte seinen Operngucker scharf ein, blickte durch das Haus und steuerte zur Tür, nachdem er ein Gesprächsopfer entdeckt hatte, im Kopf einen genauen Angriffsplan, den er jedoch nicht mehr ausführen konnte. Denn genau vor seiner Loge stieß er mit einem großen dunklen Mann zusammen, in welchem er zu seiner Freude Mr Quin erkannte.
    »Mr Quin!«, rief er aufgeregt.
    Er ergriff die Hand seines Freundes und hielt sie so fest, als fürchte er, dass er sich jeden Augenblick in Luft auflösen könne. »Sie müssen zu mir in die Loge kommen«, sagte er energisch. »Sie sind doch nicht in Begleitung hier?«
    »Nein. Ich bin allein und sitze im Parkett«, antwortete Mr Quin mit einem Lächeln.
    »Dann ist ja alles klar«, sagte Mr Sattersway und seufzte erleichtert.
    Ein Beobachter hätte sein Benehmen sicherlich komisch gefunden. Aber es beobachtete ihn niemand.
    »Sie sind sehr freundlich«, sagte Mr Quin.
    »Nein, gar nicht. Es ist mir ein Vergnügen. Ich wusste nicht, dass Sie Opernliebhaber sind.«
    »Es gibt gewisse Gründe, warum mir Der Bajazzo gefällt.«
    »Ja, natürlich«, sagte Mr Sattersway und nickte weise, obwohl er, wenn man ihn gefragt hätte, nicht hätte erklären können, warum er gerade dieses Wort benützte. »Natürlich!«, wiederholte er.
    Beim ersten Klingelzeichen kehrten sie in die Loge zurück und beobachteten, über die Brüstung gelehnt, wie die Zuschauer in den Saal kamen.
    »Was für ein schöner Kopf«, bemerkte Mr Sattersway plötzlich.
    Er deutete mit seinem Opernglas auf einen Sitz im Parkett, direkt unter ihnen. Ein Mädchen saß dort, deren Gesicht sie nicht sehen konnten, nur das helle Gold ihres Haares, das wie eine Kappe anlag und mit dem weißen Nacken zu verschmelzen schien.
    »Ein griechischer Kopf«, sagte Mr Sattersway ehrfürchtig. »Reines Griechisch.« Er seufzte glücklich. »Eine bemerkenswerte Sache, wenn man einmal darüber nachdenkt – wie wenig Leute Haare haben, die zu ihnen passen.«
    »Sie sind ein guter Beobachter«, antwortete Mr Quin.
    »Ja, ich sehe viel«, gab Mr Sattersway zu. »Ich habe ein scharfes Auge. Zum Beispiel fiel mir dieser Kopf sofort auf. Wir müssen unbedingt auch ihr Gesicht sehen. Aber ich bin überzeugt, es wird nicht zum Haar passen. Eine Möglichkeit unter tausend.«
    Noch während er sprach, begannen die Lichter allmählich schwächer zu werden, und dann erloschen die Lampen ganz. Der Dirigent klopfte ab, und die Oper begann. Ein neuer Tenor, angeblich ein zweiter Caruso, sang an diesem Abend. In den Zeitungen war er in schöner Widersprüchlichkeit als Jugoslawe, Tschechoslowake, Albaner, Ungar und Bulgare bezeichnet worden. Er hatte in der Albert Hall ein außergewöhnliches Konzert gegeben, ein Programm von Volksliedern aus seinen heimatlichen Bergen, mit einem dafür besonders gestimmten Orchester. Die Lieder bestanden aus einer Folge von seltsamen Halbtönen, und die Leute, die sich für sachverständig hielten, waren begeistert gewesen. Die Kritiker hatten mit ihrer Meinung hinterm Berg gehalten, weil sie fanden, dass sich das Ohr erst an diese Lieder gewöhnen müsse, ehe man sie beurteilen könne. Einige Opernbesucher waren sehr erleichtert, als sie feststellten, dass Joaschbim an diesem Abend in ganz gewöhnlichem Italienisch sang, mit dem üblichen Schluchzen und Beben.
    Der Vorhang fiel nach dem ersten Akt, und heftiger Beifall brandete auf. Mr Sattersway blickte Mr Quin an und merkte, dass dieser auf seine Meinung gespannt war. Mr Sattersway warf sich in die Brust. Schließlich kannte er sich aus. Als Kritiker war er beinahe unfehlbar. Bedächtig nickte er. »Das war erstklassig«, bemerkte er.
    »Finden Sie?«
    »Eine Stimme wie Caruso. Die Leute werden es nicht sofort merken, weil seine Technik noch nicht perfekt ist. Gewisse raue Kanten müssen noch abgeschliffen werden, manchmal ist er unsicher. Aber die Stimme ist da – herrlich!«
    »Ich war bei seinem Konzert in der Albert Hall«, sagte Mr Quin.
    »Ach, tatsächlich? Ich war verhindert.«
    »Das Hirtenlied war besonders schön.«
    »Ich habe darüber gelesen«, antwortete Mr Sattersway. »Der Refrain endet mit einer hohen Note, einer Art Schrei. Zwischen a-Moll und b-Moll. Sehr seltsam.«
    Joaschbim war dreimal vor den Vorhang gerufen worden; er verneigte sich lächelnd. Das Licht ging an, und die Zuschauer drängten hinaus. Mr Sattersway beugte sich vor, um das Mädchen mit dem goldblonden Haar zu

Weitere Kostenlose Bücher