Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der seltsame Mr Quin

Der seltsame Mr Quin

Titel: Der seltsame Mr Quin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
vor der Oper, während die Wagen einer nach dem andern vorfuhren. Wie schon viele Male vorher ging Mr Sattersway diese Straße entlang. Vor ihm schritten eine Frau und ein Mann, und gerade, als er sie erkannte, trat ein weiterer Mann auf sie zu.
    Es passierte alles in einer Minute. Eine laute wütende Männerstimme, eine zweite Männerstimme, die beleidigt protestierte, dann ein Handgemenge, Schläge, ärgerliches Keuchen, mehr Schläge, die Gestalt eines Polizisten, der würdevoll wie aus dem Nichts auftauchte – und keinen Augenblick später stand Mr Sattersway bei dem Mädchen, das entsetzt an eine Hauswand zurückgewichen war.
    »Erlauben Sie«, sagte er. »Sie dürfen hier nicht bleiben.«
    Er nahm sie beim Arm und steuerte sie rasch die Straße entlang. Sie blickte nur einmal kurz zurück.
    »Sollte ich nicht…«, begann sie unsicher.
    Mr Sattersway schüttelte den Kopf. »Es wäre viel zu unangenehm für Sie. Vermutlich würde man Sie bitten, zum Revier mitzukommen. Ich bin sicher, dass keiner Ihrer… Freunde dies wünscht.«
    Er blieb stehen. »Da ist mein Wagen. Wenn Sie erlauben, bringe ich Sie nachhause. Es wäre mir ein Vergnügen.«
    Das Mädchen musterte ihn. Mr Sattersways Würde und Ehrbarkeit beeindruckten sie. Sie neigte den Kopf.
    »Vielen Dank«, sagte sie und stieg in den Wagen, dessen Tür Masters für sie aufhielt.
    Als Antwort auf Mr Sattersways Frage nannte sie eine Adresse in Chelsea. Mr Sattersway setzte sich neben sie in den Fond.
    Das Mädchen war nervös und nicht in Stimmung, sich zu unterhalten, und Mr Sattersway war so taktvoll, sich ihr nicht aufzudrängen. Plötzlich wandte sie sich ihm zu und sagte ärgerlich: »Ich wünschte, die Leute würden sich nicht immer so dumm benehmen.«
    »Ja, es ist schlimm«, stimmte Mr Sattersway zu.
    Seine sachliche Art beruhigte sie, und sie sprach weiter, als hätte sie das Bedürfnis, sich jemandem anzuvertrauen. »Es war nicht so, dass ich… ich meine, Mr Eastney und ich sind schon lange Zeit befreundet. Seit ich nach London kam. Er hat sich mit meiner Stimme unendlich viel Mühe gegeben und mir gute Verbindungen besorgt. Er ist so freundlich zu mir gewesen. Ich kann gar nicht sagen, wie sehr! Er ist völlig verrückt auf die Oper. Es war sehr nett von ihm, mich heute Abend mitzunehmen. Ich bin überzeugt, er kann es sich eigentlich nicht leisten. Dann erschien Mr Bums und unterhielt sich mit uns, wirklich sehr höflich, aber Phil, ich meine, Mr Eastney wurde wütend. Er hatte gar keinen Grund dazu. Dies ist schließlich ein freies Land, oder etwa nicht? Und Mr Burns ist so freundlich und gut erzogen. Dann, als wir zur U-Bahn gingen, schloss er sich uns an, und er hatte noch keine zwei Worte gesagt, als Philip wie ein Verrückter auf ihn einschlug. Und… ach, es gefällt mir gar nicht!«
    »Wirklich?«, fragte Mr Sattersway sehr freundlich.
    Sie errötete, allerdings nur ein wenig. Sie war nicht kokett, sondern es machte ihr einfach Spaß, dass zwei Männer sich um sie stritten, was nur natürlich war, dachte Mr Sattersway. Doch er stellte auch fest, dass ihre Gefühle von Erstaunen und Beunruhigung überlagert waren. Ihre nächste Bemerkung war deshalb für ihn sehr aufschlussreich.
    »Hoffentlich wurde er nicht verletzt«, sagte sie.
    Na, wen meint sie da?, überlegte Mr Sattersway und lächelte in der Dunkelheit in sich hinein.
    Er wollte wissen, ob er Recht hatte, und fragte: »Sie meinen, dass Mr… hm… Eastney Mr Burns nicht verletzt hat?«
    Sie nickte. »Ja. Es ist alles so schrecklich. Ich wünschte… ich wünschte, ich hätte Klarheit.«
    Der Wagen hielt an der angegebenen Adresse.
    »Haben Sie Telefon?«, fragte Mr Sattersway.
    »Ja.«
    »Wenn Sie wollen, erkundige ich mich und rufe Sie dann an.«
    Das Gesicht des Mädchens hellte sich auf. »Ach, das – wäre schön. Macht es Ihnen auch nicht zu viel Mühe?«
    »Überhaupt nicht.«
    Sie bedankte sich und gab ihm ihre Telefonnummer. Scheu fügte sie hinzu: »Übrigens, ich heiße Gillian West.«
    Während er durch die nächtliche Stadt fuhr, um seinen Auftrag auszuführen, lag ein kleines Lächeln um Mr Sattersways Lippen. Mehr steckt also nicht dahinter, dachte er. Die Form eines Gesichts, die Linie eines Kinns…
    Aber er hielt sein Versprechen.
     
    Am nächsten Sonntagnachmittag fuhr Mr Sattersway zum Kew Gardens, um den blühenden Rhododendron zu bewundern. Vor vielen Jahren – es schien Mr Sattersway unglaublich lange her zu sein – war er mit einer gewissen jungen Dame

Weitere Kostenlose Bücher