Der seltsame Mr Quin
änderten sich zwar, aber doch nicht so! Außerdem hatte die Alice Clayton, die er gekannt hatte, braune Augen. Das Zimmer schien sich um ihn zu drehen. Er tastete nach einem Stuhl und hörte wie aus weiter Ferne Margerys Stimme. Ängstlich fragte sie:
»Ist Ihnen nicht gut? Oh, was ist? Sicher sind Sie krank!«
Dann hatte er sich wieder gefasst. Er ergriff ihre Hand und sagte:
»Meine Liebe, jetzt ist mir alles klar. Sie müssen sich auf einen großen Schock gefasst machen. Die Frau, die Sie Clayton nennen, ist gar nicht Clayton. Die echte Alice Clayton ist bei dem Untergang der Uralia ertrunken.«
Margery starrte ihn entsetzt an. »Wer… wer ist sie denn dann?«
»Ich irre mich nicht! Ich kann mich nicht irren! Es ist die Schwester Ihrer Mutter, Beatrice Barron. Sie erzählten mir doch, dass sie von einem Stück Holz an den Kopf getroffen wurde. Ich glaube, dass sie durch diesen Schlag ihr Gedächtnis verlor und Ihre Mutter, als sie das merkte, ihre Chance ergriff und…«
»Und ihr das Erbe stahl, wollen Sie sagen«, ergänzte Margery bitter. »Ja, so etwas hätte sie tun können. Schrecklich, dass ich das sage, jetzt, nach ihrem Tod, doch ich glaube, dazu wäre sie fähig gewesen.«
»Beatrice ist die ältere«, erklärte Mr Sattersway. »Nachdem ihr Onkel gestorben war, hätte sie alles geerbt. Ihre Mutter wäre mit leeren Händen dagestanden. Ihre Mutter behauptete, die Verletzte sei ihre Zofe, statt zuzugeben, dass es ihre Schwester war. Das Mädchen erholte sich von dem Unfall und glaubte natürlich, was man ihr erzählte… dass sie nämlich Alice Clayton sei, die Zofe Ihrer Mutter. Wahrscheinlich regt sich ihr Gedächtnis seit Neuestem wieder, aber der Schlag von damals hat ihr Gehirn geschädigt.«
Margery sah ihn mit entsetzten Augen an. »Sie hat meine Mutter umgebracht und will auch mich töten!«, rief sie erschrocken.
»Anscheinend«, antwortete Mr Sattersway. »In ihrem Kopf war nur ein wirrer Gedanke… dass man ihr das Erbe stahl und Sie und Ihre Mutter es ihr vorenthielten.«
»Aber – aber Clayton ist schon so alt!«
Eine Vision stieg vor Mr Sattersways innerem Auge auf – das Bild der verwelkten alten Frau mit dem ordentlich gescheitelten grauen Haar und das des strahlenden blonden Geschöpfs im Sonnenschein von Cannes. Schwestern! War so etwas möglich? Er erinnerte sich an die Barron-Mädchen und wie ähnlich sie sich gesehen hatten. Nur weil sich ihr Leben in verschiedenen Richtungen entwickelt hatte…
Er schüttelte heftig den Kopf, immer noch gequält von dem Gedanken, wie viel Freude und Leid das Leben bescherte.
Dann sah er Margery an und meinte freundlich: »Gehen wir jetzt lieber hinauf.«
Sie fanden Clayton in ihrem kleinen Arbeitszimmer. Sie saß da und nähte. Bei ihrem Eintritt wandte sie nicht einmal den Kopf. Mr Sattersway entdeckte schnell, warum.
»Herzversagen«, murmelte er, während er die kalte, steife Schulter berührte.
»Vielleicht ist es besser so.«
Das schöne Gesicht
M r Sattersway saß in seiner großen Opernloge im ersten Rang. Draußen an der Tür hing eine gedruckte Karte mit seinem Namen. Als Liebhaber und Kenner aller Künste hatte Mr Sattersway eine besondere Schwäche für gute Musik und gehörte zu den treuen Abonnenten von Covent Garden. Während der Saison hatte er stets für dienstags und freitags eine Loge gemietet.
Doch er saß nicht häufig allein dort, wie im Augenblick. Er war ein geselliger kleiner Mann und liebte es, seine Loge mit der Elite aus aller Welt zu füllen, zu der auch er gehörte, und mit dem Adel der Kunst, bei dem er ebenfalls zuhause war. Heute Abend war er allein, weil ihn eine Gräfin versetzt hatte. Diese Gräfin war nicht nur eine gefeierte Schönheit, sondern auch eine gute Mutter. Ihre Kinder hatten eine sehr profane und unangenehme Krankheit, nämlich Mumps, und sie wachte zuhause, in besorgtem Gespräch mit den Kinderschwestern in ihren makellos gestärkten Uniformen. Ihr Mann, der sie mit den eben erwähnten Kindern und einem Titel versorgt hatte, sonst aber eine völlige Null war, hatte die Gelegenheit genützt und war geflüchtet. Nichts langweilte ihn so wie Musik.
Deshalb war Mr Sattersway allein. Es wurde Cavall e ria rusticana und Der Bajazzo gegeben, und da er Erstere nie gemocht hatte, traf er gerade ein, als der Vorhang nach Santuzzas tödlicher Ohnmacht fiel, und hatte noch Gelegenheit, mit geübtem Blick die Zuschauer im Saal zu mustern, ehe sie zu den Ausgängen strömten, um Bekannte
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