Der seltsame Mr Quin
vorzutäuschen.«
»Aber wer …?«
»Ja«, stimmte der Inspektor zu. »Wer, das ist die Frage! Was halten Sie vom Ehemann? Er schlief nebenan, er wünschte seiner Frau nicht Gute Nacht und hat angeblich nichts gehört? Wir brauchen wohl nicht lange zu suchen, nehme ich an. Wir müssen nur noch herausfinden, wie die beiden zueinanderstanden, und dabei könnten Sie uns helfen, Mr Sattersway. Sie sind hier sozusagen Kind im Hause und können sich besser umhören als wir. Stellen Sie fest, ob zwischen den beiden alles in Ordnung war.«
Mr Sattersway wurde förmlich. »Es gehört nicht zu meinen Gewohnheiten, meine Bekannten…«
»Es wäre nicht das erste Mal, dass Sie uns bei einem Mordfall helfen«, unterbrach ihn der Inspektor. »Ich erinnere mich noch an den Fall von Mrs Strangeways. Sie haben Talent zu so etwas, natürliche Begabung!«
Ja, er hatte diese Begabung. »Ich werde mein Bestes tun, Inspektor«, sagte er leise.
Hatte Gerard Annesley seine Frau getötet? Hatte er das? Mr Sattersway rief sich sein gequältes Gesicht, das ihn am Abend so betroffen hatte, ins Gedächtnis zurück. Er hatte sie geliebt und an seiner Liebe gelitten. Kummer trieb manche Menschen zu den merkwürdigsten Handlungen.
Aber das war nicht alles. Es gab noch einen weiteren Punkt. Mabelle hatte gesagt, sie hätte das Gefühl, als fände sie aus einem dunklen Wald heraus und erwartete, glücklich zu werden. Aber nicht auf eine vernünftige, verständliche Weise. Glück bedeutete für sie etwas Irrationales, eine wilde Ekstase.
Falls Gerard Annesley die Wahrheit gesagt hatte, dann war Mabelle mindestens eine halbe Stunde später als er nach oben gegangen. Und doch hatte David Keeley sie auf der Treppe gesehen. In dem Flügel gab es noch zwei weitere Gastzimmer: Mrs Grahams Zimmer und das ihres Sohnes.
Ihres Sohnes. Aber er und Madge…
Madge hätte so etwas sicher gespürt – oder doch nicht? Madge war nicht besonders einfühlsam. Trotzdem: kein Rauch ohne Feuer…
Rauch!
Ja, er besann sich: ein dünner Rauchfaden… aus Mrs Grahams Tür. Impulsiv stand er auf und eilte die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Es war leer. Er zog die Tür hinter sich zu und schloss ab.
Er ging direkt zum Kamin, in dem Reste eines verkohlten Etwas lagen. Vorsichtig befühlte er es mit einem Finger. Es war ein Papierbündel – ein Stoß Briefe. Er hatte Glück: In der Mitte war nicht alles verbrannt.
Die leserlichen Fetzen waren unzusammenhängend, aber sie brachten ihn ein Stück weiter. Er entzifferte:
»Das Leben kann so wunderbar sein, Roger, mein Liebling! Ich habe bis jetzt nicht gewusst… Mein ga n zes Leben ist ein Traum gewesen, bis ich dich kennen lernte, Roger… Gerard weiß es, glaube ich… Es tut mir leid, aber ich kann nichts dafür. Außer dir, Roger, gibt es keine Wirklichkeit mehr für mich! Bald we r den wir zusammen sein… Was wirst du ihm in Laidell s a gen, Roger? Du schreibst so unverständlich… aber ich habe keine Angst…«
Mr Sattersway schob die angekohlten Stücke äußerst behutsam in einen Umschlag, den er vom Schreibtisch nahm. Er schloss die Tür auf, öffnete und stand Mrs Grahams gegenüber.
Die Peinlichkeit der Situation verschlug ihm im ersten Augenblick die Sprache, dann aber entschied er sich für die Wahrheit.
»Ich habe Ihr Zimmer durchsucht, Mrs Graham, und etwas gefunden: ein Bündel nicht vollständig verbrannter Briefe.«
Mrs Graham erschrak, hatte sich aber sofort wieder in der Gewalt.
»Briefe von Mrs Annesley an Ihren Sohn.«
Einen Augenblick zögerte sie, dann antwortete sie ruhig: »Ich hielt es für richtig, sie zu verbrennen.«
»Warum?«
»Mein Sohn ist verlobt. Falls diese Briefe jetzt nach dem Selbstmord der armen Frau an die Öffentlichkeit gelangt wären, hätten sie viel Kummer und Verwirrung anrichten können.«
»Ihr Sohn hätte seine Briefe doch selbst verbrennen können.«
Darauf wusste sie keine Antwort, und Mr Sattersway bohrte weiter. »Sie haben diese Briefe also im Zimmer Ihres Sohnes gefunden, sie an sich genommen und hier verbrannt. Weshalb? Sie hatten Angst, Mrs Graham!«
»Ich bin keine ängstliche Natur, Mr Sattersway.«
»Nein, aber dies war ein verzweifelter Fall.«
»Verzweifelt?«
»Es geht um Ihren Sohn. Man hätte ihn unter Mordverdacht verhaften können.«
»Mord?«
Er sah, wie sie erbleichte, und fuhr schnell fort: »Sie haben gehört, wie Mrs Annesley gestern Abend das Zimmer Ihres Sohnes betrat. Hatte er ihr schon gestanden, dass er verlobt
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