Der seltsame Mr Quin
Herren eine Blüte fürs Knopfloch. Dabei grinste er über das ganze Gesicht.
Manchmal erfand Mr Sattersway Geschichten über den Besitzer der Villa. Am liebsten stellte er sich eine spanische Tänzerin vor, die einmal für ihre Schönheit berühmt gewesen war und sich jetzt hier verbarg, damit die Öffentlichkeit niemals erfuhr, wie alt und hässlich sie geworden war.
Er malte sich aus, wie sie in der Abenddämmerung aus dem Haus trat und durch den Garten schritt. Manchmal war er versucht, Manuel zu fragen, doch er widerstand der Verlockung. Er wollte lieber bei seinen Träumen bleiben.
Nachdem Mr Sattersway ein paar Worte mit Manuel gewechselt und eine orangefarbene Rosenknospe in Empfang genommen hatte, schritt er über den Zypressenpfad zum Felsplateau. Es war herrlich, dort zu sitzen, am Rand zum Nichts, die glatte Wand unter sich. Er musste dabei an Tristan und Isolde denken, an den Beginn des dritten Aktes, wo Tristan und Kurwenal am einsamen Strand warten. Dieses endlose Warten, bis Isolde erscheint und Tristan in ihren Armen stirbt. Nein, dachte Mr Sattersway, die kleine Olga würde nie eine gute Isolde werden, Isolde, die königliche Hassende und die königliche Liebende… er erschauerte. Erfühlte sich alt, einsam. Was hatte er vom Leben gehabt? Nichts, gar nichts. Nicht einmal soviel wie der Hund, der eben auf der Straße überfahren worden war.
Ein unerwarteter Laut schreckte ihn aus seinen Überlegungen hoch. Schritte hatte Mr Sattersway nicht gehört. Das Erste, woran er die Gegenwart des anderen bemerkte, war das Wort: »Verdammt!«
Mr Sattersway blickte auf. Ein junger Mann starrte ihn mit unverhohlener Überraschung und Enttäuschung an. Mr Sattersway erkannte ihn wieder. Es war ein neuer Gast, der am vergangenen Tag eingetroffen war und über den er sich bereits Gedanken gemacht hatte. Mr Sattersway nannte ihn bei sich einen jungen Mann, weil er im Vergleich zu den unentwegten Alten im Hotel noch jung war, doch ganz sicher hatte er den vierzigsten Geburtstag hinter sich, vermutlich ging er bereits aufs halbe Jahrhundert zu. Trotzdem passte der Ausdruck »junger Mann« irgendwie auf ihn – Mr Sattersway täuschte sich gewöhnlich in solchen Dingen nicht –, weil er in gewisser Weise noch unreif wirkte. So wie viele ausgewachsene Hunde noch etwas von dem kleinen Hund an sich haben, der sie einmal gewesen sind.
Der Bursche ist nie erwachsen geworden, dachte Mr Sattersway, das heißt, nicht richtig.
Obwohl der Mann nichts Jungenhaftes an sich hatte. Er war fast plump und erweckte den Eindruck von jemandem, der sich in materieller Hinsicht jeden Wunsch erfüllt und sich keine Freude versagt hatte. Er hatte braune Augen – ziemlich runde –, helles Haar, das grau zu werden begann, einen kleinen Schnurrbart und eine frische Gesichtsfarbe.
Die Frage, die Mr Sattersway beschäftigt hatte, war der Grund, warum dieser Mann auf die Insel gekommen war. Er sah aus, als ob er gern auf die Jagd ging, Polo, Golf oder Tennis spielte und gern mit hübschen Frauen flirtete. Doch auf der Insel gab es nichts zu jagen oder zu schießen. Man konnte höchstens Krocket spielen, und die einzige Person, die von Weitem an eine hübsche Frau erinnerte, war die alte Miss Baba Kindersley.
Natürlich gab es einige Künstler, die von der Schönheit der Gegend angezogen wurden, doch Mr Sattersway hielt den Unbekannten nicht für einen Künstler. Er trug klar und deutlich den Stempel des Spießbürgers.
Während Mr Sattersway alle diese Dinge im Kopf herumwälzte, begann sein Gegenüber zu sprechen, da er, wenn auch etwas spät, gemerkt hatte, dass das eine Wort, welches er bis jetzt geäußert hatte, in gewisser Weise zu Kritik Anlass gab.
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte er etwas verlegen. »Ich dachte nämlich… nun, ich war nicht auf Sie gefasst. Ich hatte angenommen, dass hier niemand sei.«
Er lächelte entwaffnend. Er hatte ein charmantes Lächeln, freundlich, offen.
»Es ist ein recht einsamer Ort«, stimmte Mr Sattersway zu und rückte höflich auf der Bank etwas zur Seite. Der andere nahm die stumme Einladung an und setzte sich.
»Ich finde eigentlich nicht«, sagte er. »Mir scheint eher, als sei immer jemand hier!«
Ein Ton von Missbilligung schwang in diesen Worten mit, und Mr Sattersway überlegte, warum. Er hatte geglaubt, der Unbekannte sei kein Einzelgänger. Warum wollte er dann unbedingt allein sein? Vielleicht ein Rendezvous? Nein, sicherlich nicht. Wieder musterte ihn Mr Sattersway
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