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Der Semmelkoenig

Der Semmelkoenig

Titel: Der Semmelkoenig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Hirschel
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trösten, aber ihm fehlten wie so oft die Worte. Er fand einfach keinen Draht zu den Kindern. Sybille war mit ihrem Telefonat fertig und kam zurück. Langsam setzte sie sich wieder, rührte ihr Essen aber nicht an, sondern zog es vor, Andreas mit einem unergründlichen Blick anzustarren. Bildete er es sich nur ein, oder war sie ein bisschen grün im Gesicht geworden?
    »Willst du denn nicht wissen, wer das war?«, fragte sie scharf.
    Bedächtig schnitt er ein Stück von seinem Steak ab, tunkte es in die Soße, schob es in den Mund und begann zu kauen. Ja, kauen, Fleisch musste ja bekanntlich immer gut durchgekaut werden. Sybilles Augen wurden zu gefährlich schmalen Schlitzen.
    »Das war Tante Gundi!«, erklärte sie und betonte dabei jede einzelne Silbe. »Tante Gundi aus REGENSBURG!«
    »Oh, nett. Was wollte die denn um diese Uhrzeit?«, er hatte das mit dem Durchkauen aufgegeben. Das Fleisch war eindeutig zu zäh. So zäh wie meine Ehe, dachte er bitter, und schluckte es im Ganzen.
    »Oh, sie hatte mir eine wichtige Mitteilung zu machen!«
    Sybille legte eine gekonnte Kunstpause ein. Andreas beobachtete sie argwöhnisch.
    »Weißt, was sie mir gesagt hat?«
    Er hob fragend eine Augenbraue.
    »Sie hat mir gesagt, dass mein Vater entführt wurde. Angeblich heut am frühen Morgen, vorm Golfhotel. Ja, hab ich mir währenddessen gedacht, wird die denn auf ihre alten Tage noch ganz deppert, oder was? Wenn des wirklich stimmen tät, dann hätt mich wohl die Polizei, oder mein Mann längst informiert. Ich hab sie dann reden lassen. Aber irgendwie merkwürdig is des scho, dass die zu so später Stund mit so ’ner Räuberpistole kommt. Was meinst du dazu?«
    Andreas Spatz seufzte. Sie hatte ihn am Haken und würde gleich noch mit einem Knüppel nachschlagen, damit er nicht mehr zappeln konnte. Innerlich verfluchte er sich. Was hatte er sich dabei gedacht, alles auf die lange Bank schieben zu müssen? Irgendwann war er sogar davon ausgegangen, dass sie schon Bescheid wüsste, denn schließlich war man auf dem Lande und dort arbeiteten die Buschtrommeln eigentlich recht zuverlässig. Er nahm einen Schluck Wein, um klarer denken zu können. Sein Blick fiel auf Jenny, die ihn jetzt auch vorwurfsvoll ansah. Oh, sie wurde ihrer Mutter immer ähnlicher. Was konnte er denn dafür, dass weder Freunde, Bekannte, Nachbarn noch Hausangestellte auf die Idee gekommen waren, hier mal vorbeizuschauen und sich wie alle Gaffer an dem Elend dieser Familie zu weiden? Vielleicht war man davon ausgegangen, dass hier schon alle Bescheid wüssten, und man hatte daher die Neuigkeit lieber dem Metzger, Bäcker oder Onkel in Hamburg erzählt. Natürlich war es jetzt mehr als peinlich, dass die bittere Nachricht mit großer Verspätung erst über Regensburg und im wahrsten Sinne des Wortes auf den Tisch gebracht wurde. Gut, daran war jetzt auch nichts mehr zu ändern und mit Genugtuung stellte er fest, dass Sybilles giftiger Blick ihn nicht besonders tangierte. Ruhig und besonnen setzte er daher zu einer Erklärung an.
    »Nein, Tante Gundi hat dir die Wahrheit gesagt. Dein Vater wurde tatsächlich entführt. Die Polizei hat bis jetzt noch keine nennenswerte Spur, Lösegeldforderungen sind auch noch nicht eingegangen. Ich habe vorhin mit dem Hauptkommissar telefoniert. Der hat mir dann leider auch berichtet, dass mittlerweile der Georg festgenommen wurde. Der hat die Heidi umgebracht, ist schwer verletzt und wurde nach München geflogen, um dort operiert zu werden.«
    Eine Bombe hätte nicht herrlicher explodieren können. Aus Sybilles Gesicht war alle Farbe gewichen. Entsetzt schlug sie die Hand vor den Mund, wollte schreien, konnte aber nicht, weil ein riesiger Kloß auf ihre Stimmbänder drückte.
    »Tja, das is die augenblicklich desolate Lage deiner fürchterlichen Familie! Und ich wäre dir jetzt dankbar, wenn wir darüber später weitersprechen könnten. Ich würde gerne aufessen.«
    »Was hast du da gerade gesagt?«, stieß sie hervor.
    Andreas zuckte gleichgültig die Schultern und nahm sich ungerührt von den Kartoffeln. Sie konnte das eben Gehörte immer noch nicht fassen. Hasserfüllt starrte sie diesen Kerl an, mit dem sie seit nun mehr als fünf Jahren verheiratet war, und von denen viereinhalb als Dauerkrise zu betiteln waren. Aber was er sich hier eben gerade geleistet hatte, setzte dem Ganzen die Krone auf.
    »Du kannst doch nicht …«, sie kam nicht weiter.
    Tränen der Wut wollten sie fast ersticken. Die Worte fehlten ihr, um das

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