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Der Semmelkoenig

Der Semmelkoenig

Titel: Der Semmelkoenig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Hirschel
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auszudrücken, was sie gerade fühlte. Kevin war es jetzt offenbar auch zu viel geworden und er verschwand unter dem Tisch. Jenny rührte sich immer noch nicht, blickte stattdessen verängstigt zwischen den Eltern hin und her.
    »Sybille, bitte. Beherrsch dich! Wie ich bereits gesagt habe, ist das nun wirklich kein guter Zeitpunkt um weiterzureden. Denk doch bitte mal an die Kinder!«, wies er sie zurecht.
    Das war zu viel. Sie sprang auf, ihr Stuhl kippte nach hinten und fiel mit lautem Krach zu Boden.
    »Du sag mir nicht, wie ich mich zu benehmen hab! Du nicht! Wie kannst du es wagen, dich hier aufzuspielen, während du mir die ganze Zeit verschwiegen hast, dass mein Vater verschwunden is, mein Bruder im Krankenhaus liegt und sehr wahrscheinlich ein Mörder is und dann einfach so tust, als wäre nix passiert!«
    »Sybille, ich bitt dich! Du kannst doch sowieso jetzt nichts tun. Es ist doch sinnlos und kindisch sich so aufzuführen. Hörst du? Jetzt beruhig dich mal und setz dich! Das Essen wird ja ganz kalt!«
    Sie schloss die Augen, um das eben Gehörte zu verdauen, um sich zu sammeln, um ihm nicht mit ihrer geballten Faust die Nase zu brechen. Einatmen – ausatmen – einatmen – so wie es ihr der Therapeut geraten hatte. Aber es funktionierte nicht.
    »Andreas!«, stieß sie hinter zusammengepressten Zähnen hervor. »Andreas, du bist das Allerletzte! Wie kannst du es wagen, mich nicht sofort zu informieren, wenn so etwas passiert. Mein Vater! Mein Bruder! Am liebsten hättest du mir gar nichts erzählt, du gefühlskalter Eisklotz! Ja spinnst du denn völlig? Denkst, ich bin so eine hohle Nuss, die das nicht versteht? Der man eigentlich nix sagen muss? Du … du … du, Arsch!«
    Kevin lugte neugierig unter der Tischdecke hervor. Sein Vater war ebenfalls aufgestanden.
    »Das sind Ausdrücke, die ich in meinem Haus nicht hören möchte!«, stieß Andreas jetzt auch sehr aufgebracht hervor.
    Sie hatte seinen Nerv getroffen. Er war kein gefühlskalter Eisklotz! Er war ein besorgter Familienvater, ein Ernährer und ein Beschützer. Sie hatte ihn schon immer missverstanden, seine Gefühle mit den hohen Hacken ihrer unzähligen Schuhe getreten, ihm nie die Anerkennung gezollt, die er verdiente. Schließlich hatte er heute für sie, für die Kinder und wegen des Verschwindens seines Schwiegervaters einen Höllentag in der Firma hinter sich gebracht. Obwohl Wochenende war, hatten die Sonntagslieferungen überwacht und die anwesenden Mitarbeiter beruhigt werden müssen. Außerdem hatte er sämtliche Ressourcen zu überprüfen und deswegen viele Anrufe zu tätigen gehabt, damit das Lösegeld – falls es doch noch gefordert werden sollte – ohne Verzögerung bereitgestellt werden konnte. Die Termine der kommenden Woche – auch hier ging Andreas vorausschauend vom Ernstfall aus – hatte er schon mit seinen abgeglichen und, wo es ging, übernommen beziehungsweise verschieben lassen. All das war sehr nervenaufreibend gewesen und er war daher vollkommen erschlagen, mit dem Bedürfnis nach Ruhe und Entspannung, nach Hause gekommen.
    Natürlich war der Wunschtraum, hier eine Oase aus Verständnis und Liebe vorzufinden, utopisch. Sein Sohn hatte das Fahrrad mitten im Wohnzimmer geparkt, seine Tochter mit einer Schere versucht, ihre Handgelenke aufzuritzen – zum Glück hatte sie nur eine stumpfe Kinderschere – und seine Frau hielt ihm lediglich kühl und abweisend die Wange zur Begrüßung hin – und das, obwohl er einige Tage fort gewesen war! Hatte er wirklich so eine Behandlung verdient? Aus den Augenwinkeln konnte er sehen, dass Jenny heimlich nach seinem Steakmesser griff, aber zu sehr selbst verletzt, richtete er seine Aufmerksamkeit erst einmal wieder auf Sybille, die ihn immer noch mit unverhohlenem Hass anstarrte und jetzt schrie: »Es ist nicht DEIN Haus!«
    Na, das hatte aber lange gedauert! Normalerweise war sie schneller, wenn es darum ging, ihn darauf hinzuweisen, dass alles, was sie besaßen, von ihrem Vater stammte. Es war egal, dass er durch harte Arbeit sehr viel zu dem Reichtum des Familienunternehmens beigetragen hatte, denn es gab hier nur einen Leitwolf, einen Herrscher, einen König: Josef Möller. Wenn Andreas Spatz vor sechs Jahren geahnt hätte, in was für ein Schlangennest er sich da gesetzt hatte, hätte er die Finger von der Tochter des Hauses gelassen, sie nicht geschwängert und schon gar nicht geheiratet. Aber damals war er noch von Ehrgeiz getrieben seinem Traum gefolgt: schnell reich,

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