Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Semmelkoenig

Der Semmelkoenig

Titel: Der Semmelkoenig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Hirschel
Vom Netzwerk:
erfolgreich und mächtig zu werden. Leider war der Posten schon besetzt. Zu spät erkannte er, auf was er sich da eingelassen hatte und lebte seitdem mit dem Stigma, nur der Schwiegersohn des unglaublichen Bäckermeisters zu sein. Das frustrierte, machte ihn mürbe und er schien sich in einem grauen Gefängnis aus Enttäuschung und Ohnmacht zu befinden. Bis heute! Zwar war es ein furchtbar hektischer Tag gewesen, aber Andreas hatte sich seit Langem nicht mehr so frei gefühlt. Der König war tot, lang lebe der König! Ja, genauso kam es ihm vor. Er hatte endlich den Thron bestiegen und fühlte sich trotz des ganzen Stresses in der Firma mehr als befriedigt. Diese schöne, ja fast berauschende Emotion war jedoch in dem Augenblick verpufft, als er das Haus betreten hatte und seine Erben und deren Mutter sah. Nein, er schloss kurz die Augen, nein, er wollte sich das jetzt nicht mehr nehmen lassen. Der Möller konnte verrecken, seine Sybille zur Hölle fahren, denn er brauchte sie alle nicht mehr. Die Saat war unerwartet aufgegangen und er musste nur die Hand danach ausstrecken. Mit einem bösen Lächeln ließ er deshalb die nächste Bombe platzen.
    »Ich weiß nicht, wovon du redest? Aber um eins klarzustellen: Es ist ab heute MEIN Haus. Dein Vater is weg. Die Polizei geht vom Schlimmsten aus. Georg wird wahrscheinlich nicht so schnell mehr wiederkommen. Was kriegt man denn eigentlich auf Mord? Zweimal lebenslänglich? Tja, werte Gattin, da bleib ja wohl nur noch ich, der hier alles zusammenhält. Du solltest dich langsam an den Gedanken gewöhnen, dass ich jetzt der Boss bin!«
    Das hatte gesessen. Sybille riss die Augen auf, wurde noch bleicher, ihre Lippen zuckten, aber das Schönste war, dass es ihr wirklich die Sprache verschlagen hatte. Um die Theatralik beizubehalten, warf Andreas nun auch seine Serviette auf den Tisch, packte Jenny am Handgelenk, entwand ihren Fingern das Messer und ging in den Salon, wo er sich erst einmal einen Cognac genehmigte und sich dann zufrieden in SEINEN Sessel setzte, um in den dunklen Garten zu starren.
    »Mama?«, klang es kläglich unter dem Tisch hervor. Kevin traute sich nicht mehr aus seinem Versteck. »Mama?«

99
    Sybille hatte es nicht gehört, konnte es nicht hören, denn da war plötzlich so ein Rauschen in ihrem Kopf. Eine Störung, die nach dieser Explosion eigentlich nur natürlich war. Wie konnte das passieren? Wie konnte man ihr nur so brutal und ohne Vorwarnung den Boden unter den Füßen wegziehen? Plötzlich fühlte sie sich schutzlos und so verlassen. Ihr Vater war verschwunden. Vielleicht würde er nie wiederkommen. Was würde dann aber aus ihr werden? Sie war doch seine Prinzessin, sein Augenstern, sein Liebling. Er hatte sie Georg immer vorgezogen. Erst jetzt merkte sie, dass sie ohne ihn nichts war. Ihr wurde schlecht. Sie musste hier raus; raus an die frische Luft.
    »Mama?«
    »Männo, Kevi, die is weg!«, kam endlich eine Antwort, nur leider von Jenny, die damit begonnen hatte, rhythmisch ihre Beine vor- und zurückzuschwingen.
    »Aber …?«
    Die Tischdecke wurde angehoben und er sah sich dem Gesicht seiner Schwester gegenüber. Sie legte den Finger an die Lippen.
    »Pscht, jetzt heul doch nicht gleich«, flüsterte sie und war schon zu ihm geklettert. »Was hältste von nem lustigen Spiel? Guck mal, was ich hier hab!«
    »Des sin Mamas Tabletten un des sin Streichhölzer«, stellte er erstaunt fest. »Was willste damit?«
    »Spielen!«, sagte sie. »Haste Lust?«
    »Äh, okay«, erwiderte er zögernd. »Wie heißt denn des Spiel?«
    »Mörder!«
    Sie hatte jetzt einen fast hypnotischen Blick und Kevin überlegte fieberhaft, ob es eine gute Idee war, sich mit ihr abzugeben. Aber da ihn alle Erwachsenen so schmählich im Stich gelassen hatten und er sich so verlassen fühlte, willigte er ein.
    »Okay, aber ich bin der Mörder, gell!«
    Jennifer lächelte wissend.
    »Klar biste der. Du musst mich erst mal fesseln, und dann sag ich dir, wie’s weitergeht.«
    »Aber dafür brauchn wir ’n Seil.«
    »Richtig. Komm wir gehen rauf ins Kinderzimmer und suchn mein Hüpfseil.«
    Schnell war sie aufgesprungen und lief aus dem Zimmer. Auch Kevin hatte sich von ihrer Begeisterung anstecken lassen und rannte hinter ihr her, die Treppe hinauf. Was die Erziehungsberechtigten und Aufsichtspersonen betraf, die ihren Plan hätten vereiteln können, hatten sie Glück: Andreas goss sich gerade aus der Karaffe nach und überlegte, ob er jetzt als i-Tüpfelchen für seinen

Weitere Kostenlose Bücher