Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Semmelkoenig

Der Semmelkoenig

Titel: Der Semmelkoenig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Hirschel
Vom Netzwerk:
drehen, wollte sehen, was da passierte, doch sofort verlagerte sie ihr Gewicht wieder auf den Fuß und fixierte seinen Körper am Boden.

149
    Man hatte sich schnell geeinigt. Lukasz stellte sich als äußerst brauchbarer Verbündeter mit großem Organisationstalent heraus. Rasch erfasste er die Lage, rief ein paar Kommandos und sofort formierten sich die Männer. An Claudia gewandt erklärte er:
    »So, vier Männer holen Auto, was steckt fest. Ich und Rest zeigen, wo steht Baustelle.«
    Claudia sah die Entschlossenheit in den Augen der Bautruppe und überlegte, ob sie nun gerührt oder besorgt sein sollte, weitere Zivilisten in ihren Einsatz miteinzubeziehen. Krautschneider erleichterte ihr die Entscheidung, indem er ihr zuraunte: »Die sind allemal besser, als die Kindergärtner. Hast du gesehen, wie kräftig die gebaut sind? Mit denen lässt sich sogar eine Burg einnehmen.«
    Er hatte recht. Die Kommissarin nickte Lukasz zu und schon setzten sich die Gruppen in Bewegung, jede einen wichtigen Auftrag auf dem Zettel.

150
    Das Seil war endlich dort, wo es hinsollte und wurde über die Stahlstrebe gezogen. Unaufhaltsam näherte er sich seinem Ende und er konnte nichts dagegen tun. Der Druck des Fußes ließ endlich nach und verschwand dann ganz. Vorsichtig versuchte er wieder, den Kopf zu heben, aber er konnte nicht sehen, wohin sie gegangen war. Ein Kinderlied wurde gesummt. Er kannte es. Erinnerungen an schöne Tage kamen in ihm hoch, doch vermischten sie sich gleich mit den Bildern der letzten Stunden, wurden verzerrt, fratzenhaft und verhöhnten ihn. Das Summen verstummte, stattdessen hörte er nun ein Scharren, ein Ziehen und ein Geräusch, das klang, als ob etwas abgestellt würde. Dann wieder Stille. Er versuchte, sich zu bewegen, es gelang ihm leidlich. Zu festgezurrt waren die Fesseln. Plötzlich flammten von allen Seiten Scheinwerfer auf und ließen ihn in der Bewegung erstarren. Sie wollte offenbar alles genau sehen, wollte als Zuschauer in der ersten Reihe sitzen und sich keine Sekunde seines Todeskampfes entgehen lassen!

151
    Der Krankenwagen war vor ihnen zum Stehen gekommen. Was sollte das? Waren sie denn schon am Ziel? Misstrauisch schaute Maus in alle Richtungen. Nein, hier war weit und breit keine Baustelle. Links befand sich ein hoher Holzstoß und rechts ein Weidezaun inklusive einem neugierigen Rind, das schnaubend die nächtlichen Besucher begutachtete.
    »Was ist denn los, Horst?«, brüllte Doktor Frank seine Frage aus dem heruntergekurbelten Beifahrerfenster. Für die junge Kuh eindeutig zu laut – sie verschwand mit einem klagenden »Muh« hinter dem Hügel –, für den Krankenwagenfahrer aber gerade recht, denn er brüllte zurück:
    »Da steckt ein PKW im Schlamm! Die Straße is versperrt! Wir können nicht weiterfahren.«
    »Sind die Insassen denn noch drin?«
    Maus zuckte zusammen. Die Lautstärke war vollkommen unnötig und vor allem nicht zu ertragen.
    »Nein, des Ding is leer! Die ham sich aus dem Staub gemacht!«
    Dem Doktor brannten offensichtlich noch einige Fragen unter den Nägeln beziehungsweise auf den Lippen, denn er holte tief Luft. Schnell legte Maus die Hand auf Franks Schulter.
    »Doktor, bitte. Sie müssen hier nicht so rumbrüllen, oder hätten Sie gerne ein paar neue Tinituspatienten. Warum steigen wir nicht alle mal aus und schauen uns das gemeinsam an?«
    Frank überlegte kurz, nickte, riss die Tür auf und eilte zu Horst, der mittlerweile schon hinter dem Manta stand.

152
    Seine Augen hatten sich endlich an die grelle Helligkeit gewöhnt. Er musste nicht mehr blinzeln. Wieder begann sie zu summen, wieder das gleiche Kinderlied. Es war unerträglich, aber es gab keine Möglichkeit, die Ohren zu verschließen. Was hatte sie nun vor? Sie wollte ihn doch wohl nicht ganz allein hochziehen? Das war doch physikalisch unmöglich? Hatte er vielleicht doch noch eine Chance? War dieser ganze Albtraum nur dazu gedacht, ihm einen gehörigen Schrecken einzujagen? Würde sie ihn gleich losmachen und ihm erklären, er habe seine Lektion gelernt? Jetzt hörte er ein leises »Klick« – ein Einrasten. Verflixt, die Seilwinde! Natürlich! Damit konnte sie ihn – und nebenbei noch einen Zementsack – mit Leichtigkeit hochziehen. Wie hatte er nur so dumm sein und auf den kleinen Funken Hoffnung in seinem Herzen hören können? Die letzten Kraftreserven mobilisierend, rollte er sich auf die Seite und versuchte, doch noch irgendwie dem fatalen Unglück zu entkommen. Ein leises,

Weitere Kostenlose Bücher