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Der Semmelkoenig

Der Semmelkoenig

Titel: Der Semmelkoenig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Hirschel
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kaltes Lachen erklang. Dann setzte sich der Seilzug quietschend in Bewegung. Ruckartig riss die Schlinge ihn zurück. So fühlte es sich also an? Obwohl er eigentlich nicht hätte überrascht sein dürfen, war er es dennoch. Ohne Knebel wäre ein erstauntes »Oh« ungehindert über seine Lippen gekommen.

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    Claudia verschlug es die Sprache. Zwar hatte sie davon gehört, dass ihr Ex-Schwiegervater in spe ein großes, ehrgeiziges Projekt plante, aber dass es derartig gigantisch sein würde, übertraf ihre Erwartungen. Vielleicht hätte sie bei den Erzählungen auf diversen Familienfeiern etwas mehr aufpassen sollen, dann wäre sie jetzt nicht so perplex.
    »Mei, is des schirch!«, fasste Wolfgang ihre Gedanken in Worte. »Des hätt sogar dem Märchenkönig graust. Was soll das eigentlich für ’ne Stilrichtung sein?«
    Auch Erika schien es zu schütteln.
    »Gute Frage. Ich würd mal sagen, eine gewagte Mischung aus Klassizismus, Gotik und Gelsenkirchner Barock. Dazu einige Rokkokostilelemente, was sich besonders mit der Tendenz zum Herrenhaus aus den Südstaaten beißt.«
    »Na ja, Sklaven hat er ja schon«, gab jetzt auch Krautschneider trocken seinen Senf dazu und blickte mitleidig auf die Polen, die ihnen auf dem Weg hierher ihr Lager gezeigt hatten. Es war wirklich himmelschreiend, unter welchen unwürdigen Bedingungen diese Menschen hier leben und arbeiten mussten.

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    Den Genickbruch konnte er vergessen. Das wäre nur gegangen, wenn er aus der Höhe, in die man ihn gerade unerträglich langsam zog, gefallen wäre. Aber warum auch hätte sie den humaneren Weg wählen sollen? Schrecklich und qualvoll musste es sein. Ihm war so, als wolle sein Kopf abreißen, die Halswirbel knackten. Die Schlinge war fantastisch geknüpft und zog sich geschmeidig zusammen, drückte auf die Kehle. Er musste würgen, versuchte gleichzeitig Luft zu bekommen, wollte den Mund öffnen, den Klebestreifen zerreißen, konnte aber nicht. Panik! Das Herz raste. Der Hals schmerzte so. Es war unerträglich. Immer höher wurde er gezogen. Er bekam keine Luft mehr. Das hämische Quietschen der Seilwinde verstummte. Er röchelte, doch man konnte es kaum hören, unterdrückte Laute der Qual. Jetzt schwebte er über dem Boden. Luft! Wie hoch war der Raum? Sieben oder acht Meter? Keine Luft! Die Kehle war zugeschnürt! Schmerzen! Keine Luft mehr! Die Tür, da war die Tür! Luft! Er konnte nicht mehr atmen, versuchte wieder verzweifelt Luft einzusaugen, aber sie konnte nicht mehr in seine Lunge gelangen. Keine Luft! Der Hals würde gleich abreißen! Seine Hände! Er zerrte an den Fesseln, wollte sie befreien, damit sie an die Schlinge greifen, sie lockern, den Hals von dem Druck, dem Schmerz befreien konnten. Luft! Todesangst! Ein Wimmern, dabei wollte er schreien, aber er bekam keine Luft! Er brauchte Luft! Musste atmen, gleich, sofort, musste die Lunge füllen, die begierig darauf wartete. Luft! Er blickte in Panik in die Tiefe, sah nicht mehr den rettenden Ausgang, die Betonmischmaschine, den Baustromkasten, die Paletten mit den Natursteinplatten, den Bottich, die Mörtelsäcke, die Leiter, den vergessenen Helm. Wo war sie? Seine Lunge wollte jetzt bersten. Luft! Gleich war es vorbei! Warum? Warum hatte sie das gemacht? Warum dieser Weg? Warum auf diese grausame Art? Er wollte sie noch einmal sehen, wollte dem Monster ins Gesicht blicken, bevor er ersticken würde. Luft! Da war sie. Trat vor ihn, doch ihr Gesicht verschwamm. Luft! Die Lunge! Der Hals! Es war vorbei! Er wollte noch strampeln, wollte sich ein letztes Mal noch aufbäumen, das Leben doch noch nicht aus sich herauslassen, es aufhalten, aber die gefesselten Beine machten es unmöglich. Er schwang nur hin und her, spürte eine warme Flüssigkeit zwischen seinen Schenkeln, schämte sich kurz und gab auf.

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    »Wir müssen den wegschaffen!«, beendete Horst sachkundig seine Begutachtung und deutete zur Bestätigung auf den schmalen Wegrand. »Unmöglich da vorbeizukommen. Die Kiste steckt fest. Ich würde sagen, dass wir zunächst mal überlegen sollten, wie tief die Räder eingesunken sind. Aber das sieht nicht gut aus. Das seh ich schon. Vielleicht würde ein kleiner Bulldog uns da weiterhelfen, oder doch lieber gleich ein großer? Ich würd also sagen, dass wir da mal die Köpfe zusammenstecken und jeder macht ’nen Vorschlag.«
    Maus war wortlos an ihm vorbeigegangen, zog seinen Mantel aus, legte ihn zusammen und dann auf das Mantadach, krempelte die Hemdsärmel hoch und war

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