Der Semmelkoenig
mein, wir hätten sie grad eben für die Weide dringend gebrauchen können. Bei dem bisschen Mondlicht sieht man ja fast gar nix. Der Krautschneider wär auf den letzten Metern beinah noch in so einen Hasenbau getreten und hätt sich den Haxn gebrochen, wenn ich nicht zufällig gesagt …«
»Wolfi, das is nicht unsere Lampe«, schnauzte sie Ihren Cousin an, sah aber gleich ein, dass sie etwas ungerecht war und fügte daher erklärend hinzu: »Die gehört dem Herrn hier und er hat sie freundlicherweise der Polizei zur Verfügung gestellt. Nicht wahr, Herr …?«, eindringlich sah sie den Fremden an. »Herr …? Na, wie heißen wir denn? Verstehn Sie kein Deutsch?«
Statt zu antworten, drehte ihr der Gefragte einfach unhöflich den Rücken zu und rief etwas in Richtung Wald. Das Knacken gebrochener Äste, das Rascheln von Laub und eine ebenfalls unverständliche Antwort waren die Begleitmusik, die sechs weitere dunkle Schatten ankündigte. Nervös ließ Claudia den Lichtkegel von einem zum anderen gleiten. Jetzt waren sie in der Überzahl. Sieben gegen vier und diese Männer hatten etwas Unberechenbares im Blick. Oder bildete sie sich das nur ein? Die Umstände, die Situation und die Überraschung auf beiden Seiten konnten erklärbare Vorgänge durchaus verzerren und Claudia wäre nicht so eine gute Polizistin gewesen, wenn sie jetzt mit einer Kurzschlussreaktion eine Katastrophe heraufbeschworen hätte.
Schnell leuchtete sie alle fremden Gesichter an, wobei sie sorgsam darauf achtete, dass diese einen kurzen Blick auf die Mündung ihrer Dienstwaffe werfen konnten. Damit auch die letzte Unklarheit beseitigt wurde, rief sie den Männern warnend zu:
»Keine Fisimatenten! Ich bin die Polizei! Verstehen Sie? Polizei! Police! Polizia! Gendarmerie!«
Sie hatten verstanden. Sofort bildeten sie eine Gruppe und begannen zu diskutieren.
»Woher kommen die denn?«, flüsterte Wolfgang laut in Claudias Ohr.
»Was weiß ich? Klingt irgendwie osteuropäisch«, raunte Claudia zurück.
»Das is Polnisch!«, schaltete Erika sich ein.
Erstaunt sahen die anderen sie an und Erika fügte erklärend hinzu:
»Das erkenn ich an diesen Autobahngeräuschen, die sie machen. Ich wollt mal Slawistik studieren, aber hab mich dann doch ganz schnell für Pädagogik entschieden. Bin gleich im Russischkurs nach drei Wochen gescheitert und hab erst gar nicht mit Polnisch angefangen, da das noch schwieriger ist. Besonders diese Phonetik!«
Claudia sah wieder zu den Männern, die anscheinend gerade dabei waren, über etwas abzustimmen.
»Wenigstens wissen wir jetzt, woher die sind. Aber was sie hier mitten in der Nacht machen, möchte ich noch geklärt haben.«
»Schau mal, was zwei von denen in der Hand haben!«, kam Krautschneider ihr zu Hilfe. »Das sind eindeutig Wilderer!«
Er hatte recht. Jetzt erkannte auch Claudia die toten, schlaffen Körper von einigen Kaninchen, die an den Ohren gehalten grotesk in der Hand eines Mannes hin und her baumelten, weil er sich gerade etwas ratlos am Kopf kratzte. Aber nicht genug der Absurdität; es war ihr so, als gehörte einer der Kadaver zu einem Eichhörnchen. Konnte man die denn essen?
»Nun, das scheint mir eher ein Fall für den Oberförster«, bemerkte sie, versuchte den Gedanken an das Eichhörnchen zu verdrängen und fuhr überlegend fort. »Wobei der eigentlich dankbar sein müsste, denn die Hasen vermehren sich in letzter Zeit rasend. Trotzdem ist das für mich keine befriedigende Antwort auf die Frage, was die hier zu suchen haben. Ich mein, nur um Wild zu bekommen, fahr ich doch nicht extra hierher. Die haben doch bestimmt ebenfalls Wälder!«
»Vielleicht schmecken das unsrige einfach besser«, versuchte Krautschneider einen Scherz, aber keiner lachte.
Mittlerweile waren die Fremden offenbar zu einem Ergebnis gekommen. Mit finsterem Blick löste sich ein besonders großer und kräftig gebauter Mann aus der Gruppe und trat vor Claudia. Dann passierte eine Weile gar nichts. Die beiden standen nur da, fixierten sich misstrauisch und warteten darauf, dass einer den Anfang machte.
»Polnisch sagst du, Erika?«, fragte Wolfgang, dem die augenblickliche Anspannung offensichtlich überhaupt nicht aufzufallen schien, denn er war mit seinen eigenen Überlegungen beschäftigt. Als er nun Erika nicken sah, breitete sich ein Strahlen über sein Gesicht.
»Mir kam es doch gleich so bekannt vor!«, sagte er triumphierend, schob Claudia sanft zur Seite und rief: »Co słychać?«
Ein Lachen
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