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Der Semmelkoenig

Der Semmelkoenig

Titel: Der Semmelkoenig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Hirschel
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zögerte. Das reichte Krautschneider. Sofort riss er seinen Arm hoch, machte eine elegante Halbdrehung, holte dadurch den nötigen Schwung und schlug dem überraschten Bauarbeiter die Faust gegen die Nasenwurzel. Dass Krautschneider in seiner Hand noch die Dienstwaffe hatte, war ein Segen, denn damit war seine Verteidigung um ein Mehrfaches effektiver. Lukasz verdrehte die Augen, ging in die Knie und brach zusammen. Da lag er nun wie ein gefällter Baum. Krautschneiders Atem ging rasch, sein Herz schlug Rekorde.
    »Jetzt! Schnell!«, hörte er es neben sich hinter einigen großen Rollen Dämmwolle.
    Aus den Augenwinkeln sah er zwei Gestalten hervorspringen und davonrennen. Verdammt! Was war er nur für ein Idiot gewesen!? Lukasz hatte nie vorgehabt, ihn anzugreifen! Er hatte als erfahrener Jäger die beiden Frauen gehört und wollte, nachdem er die Witterung aufgenommen hatte, sie orten und dingfest machen; oder was auch immer man mit einer Axt sonst noch machen konnte.

173
    »Susi?«, fast schüchtern klang seine Frage.
    Glücklich, noch am Leben zu sein und als Dreingabe hier sogar eine alte Freundin anzutreffen, war er kurz davor, vor Dankbarkeit zu weinen. Abrupt drehte sich die Angesprochene um, starrte ihn einige Sekunden an, versuchte die Mundwinkel zu einem Lächeln hochzuziehen, was ihr nicht gelang, sodass sie es gleich wieder bleiben ließ, und entgegnete stattdessen etwas kühl: »Wolfgang, was für eine Überraschung. Mit dir hätte ich jetzt aber nicht gerechnet.«
    »Nicht wahr? Das is toll!«
    So war Wolfgang nun einmal. Wenn er sich freute und glücklich war, dann ging er davon aus, dass andere Menschen genauso empfanden. Meist war es dann auch so, denn positive Gefühle wurden ebenso schnell von anderen aufgenommen wie negative. Ein freundliches Lächeln von einem Wildfremden wird daher oft dankbar aufgesogen, gelangt direkt ins Herz, macht dieses froh und leicht und als letzte Reaktion findet eine Widerspiegelung dieses schönen Gefühls im Gesicht statt. So einfach das Rezept auch war, mussten jedoch gewisse Voraussetzungen gegeben sein. Eine davon war, dass das Gegenüber die Bereitschaft dazu hatte. Im Falle Susanne Klöter war das aber nicht so. Immer noch starrte sie Wolfgang mit diesem unergründlichen Blick an. Er zögerte, ließ sich aber dann doch nicht beirren und tat das, was ihm jetzt das Natürlichste erschien, ihm ein Bedürfnis war: Er nahm sie in seine Arme und drückte ihren stocksteifen Körper fest gegen seinen.

174
    Krautschneider war genervt. Schon wieder war er in einer Situation, in der sein Partner ausgeknockt am Boden lag – warum, war jetzt vollkommen irrelevant – und er vor der Wahl stand, die Flüchtenden zu verfolgen, oder sich erst einmal um den anderen zu kümmern. Da es sich aber diesmal nicht um einen richtigen Kollegen handelte, entschied er schnell zu Lukasz Ungunsten, stieg über ihn hinweg und schrie: »Sofort stehen bleiben, oder ich mache von meiner Schusswaffe Gebrauch!«, um dann hinter den zwei Frauen herzulaufen, die seine Autorität schon wieder ignorierten und bereits einen großen Vorsprung hatten. Doch durchtrainierter als die pummelige Sandra Blum war er allemal.
    »Bleibt jetzt – verflixt noch mal! – endlich stehen!«, schrie er wieder, aber ihm ging langsam auch die Puste aus, sodass er nicht noch einmal brüllen wollte, sondern für seine Wut auf die Geschehnisse der letzten Stunden ganz schnell ein besseres Ventil brauchte. Kurzentschlossen hob er die Waffe und schoss als Warnung über die Köpfe der Flüchtenden hinweg. Sandra Blum quiekte erschrocken auf, als die Kugel vor ihr in die Wand schlug, aber schon war sie von Erika um die Ecke gezerrt worden.

175
    Claudia sprang auf.
    »Scheiße! Da wird geschossen!«
    Kaum waren Hannes Fesseln endlich gelöst, sah er sich vor einem neuen Problem: Zwar hatte er theoretisch die Freiheit seiner Glieder wieder, aber aus rein praktischer Sicht waren die zu nichts mehr zu gebrauchen. Zu lange hatte er in dieser steifen, unnatürlichen Position aushalten müssen, zu lange war stellenweise die Blutzufuhr beeinträchtigt gewesen, und es war ihm daher unmöglich, es seiner Partnerin gleichzutun und ebenfalls sportlich aufzuspringen, um sich dann Seite an Seite mit ihr der Gefahr zu stellen. Ihm blieb also nichts anderes übrig als liegen zu bleiben, sehnsüchtig an Claudias langen Beinen emporzublicken und sich gleichzeitig darüber zu wundern, wie er es vorhin mit dieser Kondition fertig gebracht

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