Der Semmelkoenig
verdreckter Arbeitskleidung.
»Nie strzelać! Jestem bezbronny!«
Was auch immer er da gesagt haben mochte, war nicht so wichtig. Klar waren nur zwei Punkte: Erstens wollte er nicht erschossen werden und zweitens war er unbewaffnet. Zwar hatten sie dank Lech eine eher schlechte Erfahrung gemacht, aber Maus erinnerte sich auch an die anderen Bauarbeiter, die ihnen unaufgefordert geholfen hatten. Der Mann vor ihnen gehörte vermutlich zu diesen Leuten, denn er hatte ein ehrliches Gesicht. Ob man ihm trauen konnte? Wieder war ein Poltern zu hören, diesmal auf der rechten Seite. Schnabelhuber fuhr herum, doch etwas zu langsam, denn wie aus dem Nichts stand schon ein weiterer Mann neben ihm.
»Verdammt!«, rief der Beamte und war sich sicher, dass sein Herz aufgehört hatte zu schlagen. »Wie viele von denen haben sich denn hier noch versteckt?«
Sein neuer Nebenmann blickte unschuldig und zuckte die Achseln. Maus glaubte jetzt langsam, den Dreh im Umgang mit den Ausländern herausgefunden zu haben und ergriff das Wort: »Könnten Sie bitte jetzt alle aus ihren Verstecken kommen, damit wir wissen, wie viele Leute sich hier auf dem Gelände befinden? Es dient zu Ihrer eigenen Sicherheit, denn hier wird es bestimmt gleich sehr ungemütlich werden und ich möchte Sie gerne außerhalb der Gefahrenzone wissen.«
»Co powiedział?«, fragte der Mann mit den immer noch erhobenen Händen, denn er hatte unverkennbar große Angst vor Hammers Dienstwaffe. Vermutlich lag es hauptsächlich daran, dass dieser sie immer noch in seine Richtung hielt.
»Okay«, Maus gab noch nicht auf. »Okay, Inglisch? Do you speak Inglisch?«
»Yes, yes!«, die Stimme wurde immer zittriger.
»Wondervoll!«, und seinen Ärger über diese Zeitverzögerung auf Hammer projizierend, fuhr Maus fort: »Nehmen Sie gefälligst die Waffe runter, Mann! Sie sehen doch, dass der arme Kerl fast einen Infarkt bekommt! Und nun zu Ihnen, äh, and now to you, Sir. Do you know where se ossers are?«
Vergeblich wartete man auf eine Antwort. Einige Sekunden blieb es still, lediglich verständnislose Blicke wurden gewechselt. Anscheinend waren entweder Maus Fremdsprachenkenntnisse oder das Englisch des anderen doch nicht so gut, wie erhofft, oder letzterer hatte in seiner Verzweiflung nur »Yes« gesagt, um am Leben bleiben zu können. Bevor aber die Geduldsfäden aller Anwesenden mit einem hässlich kollektiven »Ratsch« reißen konnten, hörte man einen langgezogen, schauerlichen Schrei. Aus irgendeinem Zimmer der oberen Stockwerke kommend, drang er in die endlosen Korridore, wurde durch das Echo von den kahlen Wänden, an denen er abprallte und weitergetragen wurde, verstärkt, und erreichte so, etwas verfälscht, dafür aber umso effektvoller, die Eingangshalle.
171
»Oh, tut mir leid!«
Mitfühlend sah Claudia auf Hannes und zerknüllte schnell den Klebestreifen, den sie ihm gerade vom Mund abgerissen hatte.
»Schon gut! Ich war nur so überrascht. Das ist alles«, versuchte er tapfer lächelnd die Schmerzenstränen zurückzuhalten.
In ihrem Gesicht konnte er lesen, dass sie wieder nahe daran war, ihn zu umarmen. Da er aber ein ganzer Mann war und seit seiner Entführung sehr darunter litt, sich nicht mehr bewegen zu können, widerstrebte ihm die eigentlich verheißungsvolle Aussicht, wieder an ihren Busen gepresst zu werden. Er fühlte sich dabei wie ein hilfloses Baby, und das gefiel ihm überhaupt nicht. Stattdessen wollte er endlich wieder frei sein, ihr ihre Zärtlichkeit mit ebensolcher vergelten, sie auch mal in die Arme nehmen können.
»Mach mich los, ja?! Und zwar schnell!«, wies er sie knapp und etwas ruppig an.
172
Während der Schrei dem Befreiungsteam in der Eingangshalle sämtliche Haare zu Berge stehen ließ, war er für Krautschneider ein Glücksfall. Im ersten Augenblick kam es ihm so vor, als ob er selbst geschrien hätte, denn sein Mund stand offen, aber schnell merkte er, dass sich seine eigene Stimme schon seit einer Weile von ihm verabschiedet hatte. Seine Kehle war zu trocken, da war nichts mehr zu machen. Der Gedanke, in Kürze seinen leblosen Körper auf dem grauen Betonboden liegen zu sehen, inklusive einer riesigen Blutlache, die sich schnell im Gang ausbreiten würde, hatte ihn gelähmt. Paralysiert starrte er auf die Axtklinge, wusste, dass er keine Chance hatte, und fand alles so ungerecht, denn er liebte sein Leben.
Erst der Schrei riss ihn aus der Starre. Lukasz, dadurch verständlicherweise auch etwas abgelenkt,
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