Der Semmelkoenig
sich Krautschneider auf die Unterlippe. Dann hätte ja einer von ihnen eigentlich zuerst zu Claudia gehen und dort warten können, während der andere die Mörderin aufscheuchte und sie dorthin treiben würde. Sein schlechtes Gewissen, nicht nach der Kollegin gesehen zu haben, machte sich mit aller Wucht bemerkbar.
Der böse Blick auf Lukasz, den er nun in Verdacht hatte, ihm absichtlich diese architektonische Besonderheit verschwiegen zu haben, prallte jedoch unbemerkt an dem Bauarbeiter ab. Dieser schien seinen eigenen Gedanken und Überlegungen nachzuhängen. Plötzlich blieb er so abrupt stehen, dass Krautschneider unweigerlich gegen ihn stieß. Verwirrt blickte er den Bauarbeiter an. Lukasz stand konzentriert lauschend einige Sekunden still. Lediglich sein großer Brustkorb hob und senkte sich, der Gesichtsausdruck war nicht zu erkennen, da er sich vom Licht der Taschenlampe abgewandt hatte.
Krautschneider wagte nicht, sich zu rühren. Plötzlich riss Lukasz die Axt hoch und knurrte laut etwas auf Polnisch. Die Bewegung war eindeutig zu schnell. Mit schreckensweiten Augen konnte der Polizeibeamte nur zusehen. Das Metall blitzte im fahlen Mondlicht auf. Krautschneiders letztes Stündlein hatte geschlagen!
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Wolfgangs Muskeln spannten sich, seine Hände umklammerten das Holzbrett. Er war bereit! Er würde kämpfen bis zum letzten Atemzug! In den Schatten kam wieder Bewegung. Schnell wandte er sich nach links, auf das Auto zu. Nanu? – schoss es Wolfgang durch den Kopf. Was sollte das denn? Hatte man es doch nicht auf ihn abgesehen? War er denn etwa so bedeutungslos? Seine Gefühle schwankten einen Augenblick zwischen Erleichterung und Enttäuschung. Sofort zwang er sich aber, wieder rational zu denken. War diese Person dort womöglich gar kein Bösewicht, sondern einer von den eigenen Leuten? Er kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Nein, das war keiner der Polen – zu klein, zu zierlich. Eine Frau! Jetzt war er vollkommen erleichtert. Mit Frauen konnte er umgehen, Frauen verstand er, und ohne weiter zu überlegen, lief er ihr hinterher.
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»So Leute, wir gehen folgendermaßen vor«, begann Maus mit seinen Anweisungen.
Sie hatten endlich den dunklen Forst hinter sich gelassen und standen im Schatten des Gebäudes.
»Wir stürmen da jetzt rein und nutzen das Überraschungsmoment. Doktor Frank, Sie bleiben hier draußen, bis es vorbei ist, und kommen dann nach.«
»Wann weiß ich denn, dass es vorbei ist?«, fragte Frank.
»Geben Sie uns zehn Minuten!«, entschied Maus kurzerhand.
»Klingt ja so, als ob Sie so schnell wie möglich Feierabend machen wollen?«, konnte der Arzt es sich nicht verkneifen, fuhr aber gleich fort: »Aber wo genau werde ich Sie denn dann finden? Ich mein, diese Hütte sieht recht groß aus und Sie können doch nicht riskieren, dass ich mich verlaufe, während Sie dringend auf meinen medizinischen Beistand warten?«
»Frank, da bin ich guter Hoffnung. Sie haben einen untrüglichen Instinkt, wenn es darum geht, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein«, konterte Maus den kleinen Seitenhieb seines Freundes. »Außerdem stelle ich Ihnen unsere Fremdenführerperle zur Seite. Lech? Wo glauben Sie, dass Sie hinwollen?«
Der Bauarbeiter, nachdem er dann doch endlich seine Aufgabe erfüllt hatte, war gerade dabei, sich langsam und unauffällig rückwärtsgehend Richtung Wald zu schleichen.
»Hier geblieben, du kleiner Verräter!«, knurrte Hammer und sofort war Lech wieder bei den anderen.
Da nun die Aufgaben verteilt worden waren, machte Maus ein Zeichen, dass alle leise sein sollten, deutete auf das Portal, sprintete sofort los, nahm zwei Stufen der Eingangstreppe auf einmal und war kurz darauf, gefolgt von dem jungen Polizisten, in der Vorhalle. Wenige Augenblicke später trampelte Hammer herein, hinter ihm, seinen keuchenden Atem so gut es ging auf ein Minimum reduzierend, Schnabelhuber.
Die Männer verharrten einige Sekunden und lauschten. Vorsichtig entsicherte Hammer seine Dienstwaffe, denn er hatte es vorher in der ganzen Hektik vollkommen vergessen. Das leise, unverwechselbare »Klick« verriet ihn jedoch und Hammer spürte sofort den vorwurfsvollen Blick seines Vorgesetzten. Doch bevor Maus irgendetwas sagen konnte, fiel polternd eine Kiste um. Erschrocken drehten sich die Beamten in die Richtung, aus der der Lärm kam. Schnabelhuber richtete seine Lampe auf die Stelle und beleuchtete einen ängstlich dreinschauenden Mann mit erhobenen Händen und
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