Der Semmelkoenig
hatte, von der Wand quer durch die Halle zu ihr zu rollen.
»Zefix, Hannes! Was machst noch dadrunt?«
Ihre Frage klang wie der blanke Hohn.
»Claudia, ich kann mich noch nicht besonders gut bewegen. Is alles so steif!«, kam seine frustriete Erklärung.
»Ach, verflixt. Na logo, du Armer! Das is ja bläd!«
Irgendwie hörte sich das jetzt ziemlich uninteressiert an, eher etwas runtergeleiert. Obwohl Selbstmitleid gepaart mit etwas Wehleidigkeit versuchte ihn zu übermannen, meldete sich gleichzeitig die Stimme der Vernunft zu Wort. Natürlich war sie abgelenkt! Schließlich hatte gerade jemand geschossen! Sie war Polizeibeamtin, und da er nur noch ein Klotz am Bein war, musste sie jetzt ihn und sich selbst schützen.
Claudia war wieder auf den Knien. Ob sie ihm noch ein paar aufmunternde Worte zuraunen und ihn vielleicht mit einem zärtlichen Kuss beruhigen wollte, bevor sie sich auf die Lauer legte, um dann dem Revolverhelden aus dem Hinterhalt ein Bein zu stellen? Leider machte sie ihm wieder einen Strich durch seine schönen Vorstellungen, denn sie beachtete ihn überhaupt nicht mehr, sondern schien hektisch etwas zu suchen.
»Herrgottsakra!«, fluchte sie verzweifelt. »Wo is sie denn?«
»Was?«, fühlte Hannes sich verpflichtet zu fragen.
»Meine Pistole! Wo zum Teufel is meine Pistole?«, sagte sie fast weinerlich und ließ ihre Hände weiter fieberhaft über den unebenen Boden gleiten, in der Hoffnung, die Waffe doch noch zu finden. Dass sie sich dabei immer weiter von ihm wegbewegte, musste er wohl akzeptieren, aber gleichzeitig fühlte er mit großer Erleichterung, wie sein Blut langsam wieder durch ihn hindurchströmte und er konnte fast schon einen Arm heben. Dann hörte er sie plötzlich: Schritte! Schnelle Schritte! Und nicht nur von einer Person. Da kamen viele!
»Claudia!?«, rief er ihr alarmiert zu. Sie schien ihn aber nicht mehr wahrzunehmen, wurde immer hektischer, fiepte sogar ein bisschen.
Schritte! Schnelle, trappelnde, rennende, stampfende, klackernde, hastende Schritte! Es war so, als ob sie aus allen Richtungen auf den Saal zu gerannt kamen. Jetzt hatte sie es auch gehört. Er konnte ihre dunkle und leider schon viel zu weit von ihm entfernte Silhouette erstarren sehen.
»Claudia! Das Licht!«
Sie kamen immer näher! Von allen Seiten. Es hörte sich jetzt fast an, als ob eine ganze Armee anstürmen würde.
»Wos meinst?«, fragte sie nervös.
Gleich, jede Sekunde wären sie da! Würden durch all die unzähligen Türen hineindrängen, das Feuer eröffnen, ohne zu sehen, ohne auf die beiden Polizisten Hubschmied und Petersen zu achten, die hier im Dunkeln und vollkommen hilflos dem Kreuzfeuer ausgeliefert waren.
»Na, das Licht, die Scheinwerfer!«, rief Hannes aufgebracht und merkte gar nicht, dass er seinen Oberkörper halb aufgerichtet hatte, und sogar schon seine Zehen bewegen konnte. »Claudia! Hast du gehört? Hier sind doch die …«
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»Oh Susilein!«
Er hielt sie immer noch umschlungen, ignorierte, dass sie sich nicht rührte, vergrub sein Gesicht in ihrem Pagenkopf, küsste sie auf die Schläfe, hielt es für eine gute Idee eine Hand an ihrem Rücken entlanggleiten zu lassen, und dann leicht ihr spitzes Hinterteil zu kneten. Die Ohrfeige kam überraschend. Völlig perplex starrte er sie an.
»Lass mich augenblicklich los!«, fauchte sie ihn an.
»Aber … aber Susanne??«
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Der Tumult brach los, alles passierte fast gleichzeitig und vor allem zu schnell. Noch bevor Claudia begriff, was Hannes mit der Bemerkung »die Scheinwerfer« meinte, rannten auch schon zwei Frauen, sich fest an den Händen haltend, durch eine Tür an der Südseite in den Raum.
Erika und Sandra hatten die Hölle hinter sich und den leibhaftigen Teufel in Gestalt von Krautschneider auf den Fersen. Während Sandra sich immer wieder ängstlich über die Schulter blickte, war Erika, einer fleischgewordenen Nashornmutter gleich, bereit, alles niederzutrampeln, was sich ihr in den Weg stellte. Daher war Kommissarin Hubschmieds augenblickliche Position nicht gerade günstig. In letzter Sekunde rollte sie sich ein, machte einen krummen Rücken und schlang schützend die Arme um den Kopf, sonst wäre sie wie Georg ein Fall für den Rettungshubschrauber geworden.
Erika, die sie einerseits gar nicht gesehen und die andererseits zu viel Schwung hatte, um überhaupt bremsen zu können, flog im hohen Bogen über die Polizistin und riss Sandra mit. Gleich darauf rutschte Krautschneider durch die
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