Der Semmelkoenig
herausgequollenem Gedärm, von Füchsen und Ratten angefressen und von Schmeißfliegen bedeckt findet, sagen können: »Der Wolfi, das war ein ganz Tapferer! Seht nur, er hat bis zum Schluss wie ein Löwe gekämpft. Der Beweis ist dieses Ohr, das er dem heimtückischen Wicht abgerissen hat, und das er immer noch in seiner Hand hält!«
Zwar war diese Geschichte mehr als traurig, das Ende nicht gerade schön und vor allem schmerzhaft, aber die Aussicht nicht so schnell in Vergessenheit zu geraten, war doch sehr tröstlich. Schnell bückte er sich nach einem kleinen Holzbrett zu seinen Füßen. Zufrieden stellte er fest, dass darin zusätzlich ein paar rostige Nägel steckten. Er war bereit: Die blutrünstige Bestie konnte kommen!
167
Claudia wurde langsam kalt und so zog sie den Teppich noch näher an sich heran. Ein bisschen eckig und kantig war er schon, aber er strahlte Wärme aus, die sie jetzt unbedingt brauchte. Von weit weg drang ein Geräusch an ihr Ohr. Es klang wie ein Röcheln. Es störte sie, deshalb klammerte sich Claudia noch fester an den wärmespendenden Teppich. Jetzt kam auch noch ein Stöhnen hinzu. Merkwürdig! Langsam ließ sie ihre linke Hand über das runde, harte Ende des Gegenstandes in ihren Armen gleiten. Fransen? Nein, das waren keine Fransen, dazu waren sie zu dicht. Und jetzt ertastete sie etwas Hervorstehendes, Hartes mit glatter Oberfläche. Schnell glitten ihre Finger weiter und fühlten Feuchtigkeit, ein Zucken und gleich darauf erklang ein unterdrückter Schmerzlaut. Claudia fuhr zusammen. Das war ja ekelhaft! Entsetzt riss sie die Augen auf, sah einen unförmigen Körper neben sich liegen, schrie auf, und begann sofort in Panik gegen ihn zu schlagen und zu treten. Nein, es konnte nicht sein! Das durfte nicht der Tote sein, der auf sie gefallen war! Er sollte weg, weg von ihr und sie nie, nie wieder belästigen!
Schnell hatte sich die Kommissarin aufgesetzt, ihr Herz schlug bis zum Hals, aber sie hörte nicht auf, gegen den Körper zu treten, damit er endlich verschwand! Ein unterdrücktes, verzweifeltes »Hmmmmmhmm!« konnte sie jedoch nicht von ihrem letzten Tritt abhalten, der so gut den Solarplexus des anderen traf, dass sich dieser vor Schmerzen krümmte. Claudia zog sich immer noch sitzend mit den Armen einige Meter zurück. Ihr Atem ging schnell, ihr Gehirn dafür etwas langsamer. Sekundenlang starrte sie erst einmal auf das merkwürdig gekrümmte Bündel vor sich.
Das konnte doch nicht der Tote sein? Der hier war lebendig und sie war gerade nicht sehr sanft mit ihm umgegangen. Aber warum bewegte sich der Kerl eigentlich so seltsam? Claudia blinzelte. Aber natürlich, er war gefesselt. Sie schnappte nach Luft. Konnte es denn möglich sein, dass dies vielleicht …? Schnell krabbelte sie zurück, packte den immer noch Stöhnenden an den Schultern und drehte ihn um. Ganz nah musste sie an sein Gesicht, versuchte etwas zu erkennen. Der plötzlich wieder einfallende Mondschein kam ihr gnädig zur Hilfe.
»Hannes?«, flüsterte sie. Sie konnte es kaum glauben. »Hannes!«
Mit Tränen der Erleichterung in den Augen, packte sie seinen Kopf und presste ihn gegen ihre Brust, wiegte den hilflosen Mann in den Armen, küsste seinen Scheitel und war nur noch glücklich.
168
»Hier lang!«, befahl Krautschneider und lief in den langen Gang.
Lukasz folgte, die Axt schwingend, was Krautschneider dazu veranlasste, noch schneller zu gehen, denn er hatte keine Lust – falls sein Mitstreiter stolpern sollte – von diesem Mordwerkzeug getroffen zu werden. Sie kamen an eine Abzweigung. Dieses Gebäude war ein einziges Labyrinth. Nervös fuhr sich Krautschneider mit der Zunge über die Lippen. Was jetzt? Rechts oder links?
»Links!«, nahm ihm Lukasz die Entscheidung kurzerhand ab. »Rechts geht nicht weiter. Abgrund! Wir noch bauen Treppe. Noch nicht fertig.«
Das klang vernünftig. Die Männer bogen also nach links und trabten einige Sekunden schweigend den Gang entlang.
Krautschneider konnte beim besten Willen nicht mehr sagen, wo sie sich befanden, denn er hatte schon seit einer ganzen Weile vollkommen die Orientierung verloren. Deshalb ließ er Lukasz jetzt doch vorgehen, denn der kannte sich hier offensichtlich sehr gut aus.
»Wohin führt der Weg?«, fragte Krautschneider.
»Zu Tür von Königsaal«, kam die knappe Antwort.
»Ja, aber dann sind wir ja sozusagen im Kreis gelaufen?«
»Alles hier Kreis«, erklärte ihm Lukasz. »Zentrum immer Königsaal.«
Ärgerlich biss
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