Der Semmelkoenig
Mann dazu, seinen Griff zu lockern, sodass es Petersen gelang, sich zwischen den beiden anderen herauszuwinden und aufzustehen.
»Herrschaftszeiten!«, fluchte der Oberförster.
Claudias heraneilende Schritte, die wegen der vielen Pfützen wie das Patschen einer riesigen Ente klangen, waren noch vor ihrem schnellen Atem und der leicht keuchenden Warnung »Bleib endlich stehen, du Arschloch!« zu hören.
»Hilfe! Sie hat mich gefunden!«
Mit Genugtuung sah Hannes, dass der Verfolgte jetzt seine Arme um den Hals des Oberförsters geschlungen hatte, was diesen am Aufstehen hinderte. Es donnerte wieder. Claudia Hubschmied war bei der Gruppe angelangt. Einem Racheengel gleich packte sie den Oberförster am Kragen und zerrte den armen Mann mit einer Leichtigkeit, die Hannes erstaunte, von ihrer Beute weg.
»Du Saubatzi, du dreckerter! Du wagst es, mir aufzulauern! Du wagst es, mich aus dem Hinterhalt anzugreifen! Du wagst es, nicht stehen zu bleiben, wenn ich es dir sag! Du …«
Weiter kam sie nicht, denn Petersen hatte sie am Handgelenk gepackt und drückte nun ihren Arm und damit auch die Dienstwaffe nieder, die sie die ganze Zeit auf den dicken Mann gerichtet hatte.
»Claudia, so beruhig dich doch!«
Wie in Trance sah sie ihn an. Die Angst, die Anspannung, die Empörung, das Adrenalin schienen langsam der Vernunft Platz zu machen. Ihr Atem beruhigte sich, sie wischte eine nasse Haarsträhne aus den Augen, sah auf das Häufchen Elend zu ihren Füßen und nickte Hannes leicht zu.
»Scho recht!«
Sie sah hinreißend aus; in ihrer nassen Bluse. Während bei den Männern die durchweichten Sachen wie alte Säcke herunterhingen, fand Hannes das bestätigt, was er schon die ganze Zeit hoffnungsvoll erahnt hatte. Für diese Figur brauchte sie einen Waffenschein. Deshalb konnte er ihr nicht allzu böse sein, obwohl sie so offensichtlich die Nerven verloren hatte. Auch der Oberförster glotzte voller Bewunderung und nur das vermeintliche Opfer entpuppte sich viel zu schnell als Spielverderber.
»Sie … Sie sind ja gemeingefährlich, Sie … Das wird Konsequenzen haben. Ich zeige Sie an! Ich, ich …«
31
»Wenn ich’s dir doch sag! Alles wiederholt sich, alles ist ein Zyklus! Ich kann es nur ändern, wenn ich die Sache auf meine Weise in die Hand nehme!«
Erika wollte nichts mehr dazu sagen. Sie sah durch die Glastür in den Garten. Es hatte angefangen, heftig zu regnen. Ja, wie vor dreißig Jahren.
Damals waren sie in Heidis Alter gewesen. Lebensfroh und optimistisch – zumindest was Sandra betraf, denn diese war unsterblich in Josef Möller verliebt gewesen, obwohl der da schon ein richtiger Mann Ende zwanzig gewesen war – waren sie, kichernd, die Jacken über ihre Köpfe haltend, ins Bierzelt gelaufen, um Schutz vor dem Gewitter zu suchen. Dort war natürlich eine super Stimmung gewesen und sie hatten sich auch gleich zu ein paar Freundinnen setzen können.
»Mei, hier ist es herrlich!«
Sandras Augen hatten geblitzt und sie war noch aufgedrehter geworden, als sie Josef gesehen hatte, der mit seinem Bruder und ein paar anderen Männern nur ein paar Bänke weiter gesessen hatte. Erika hatte es auch bemerkt und die Freundin argwöhnisch beobachtet, als diese übermütig noch einen großen Schluck aus dem Maßkrug genommen hatte.
»Sandra, ich bitt dich. Trink nicht so viel. Du hast jetzt schon unsere zweite fast geleert und wir ham net so viel gegessen und du verträgst doch sowieso nix!«
»Blablablabla, als wärste meine Mutter. Mensch Erika, entspann dich doch mal ein bisschen!«
Rasch war sie auf die Bank geklettert, hatte das Glas genommen, aber bevor sie es ganz hatte austrinken können, hatte sie laut aufgequietscht, weil ihr jemand in den Hintern gezwickt hatte.
»Hey, lass das!«
Sie hatte ihr Glück kaum fassen können, denn neben ihr war jetzt Josef auch auf die Bank geklettert und hatte sie breit angegrinst.
»Madl, wos moanst zu aam g’scheidn Schnaps?«
Die Blaskapelle hatte mit einem lauten Tusch signalisiert, dass die Spielpause zu Ende gewesen war, und gleich darauf hatte ein beliebtes Volkslied eingesetzt, das alle Festbesucher auf die Bänke hatte steigen lassen. Erika war zur Seite geschubst und somit von Sandra getrennt worden, die es gar nicht gemerkt hatte. Stattdessen hatte sie dumme, verliebte Kalbsaugen gemacht und ohne zu Zögern den angebotenen Flachmann genommen. Von Erikas unglücklicher Position aus – sie war mittlerweile von einer Bedienung aufs Brutalste zur Seite
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