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Der Semmelkoenig

Der Semmelkoenig

Titel: Der Semmelkoenig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Hirschel
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durcheinandergebracht hatte. Immer gab es eine Tragödie, eine Katastrophe und einen Scherbenhaufen. Immer musste Erika mit Rat und Tat zur Seite stehen und Lösungen finden. Seit der ersten Klasse war das so. Konnte sie denn nicht langsam erwarten, jetzt auch mal etwas zurückzubekommen? Mit Recht fühlte sie sich überfordert, aber ihr Gewissen war trotzdem nicht zu beruhigen, denn sie war dann doch wie ein beim Lügen ertapptes Kind zusammengezuckt, als ihr Handy klingelte und Stefanie Vogler sie bat, sich um Sandra zu kümmern.
    »Und wenn ich nicht zufällig da gewesen wäre, hätte die arme Frau Blum ganz allein sein müssen. Und die hätte sich bestimmt was angetan, sage ich Ihnen!«
    Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis Frau Wielands Worte endlich Erikas Gedankenwelt durchdringen würden, plötzlich tönte die schnatternde Stimme überlaut in ihren Ohren, sodass es fast schmerzte.
    »Es ging ihr so schlecht. Ich hab der Beamtin zwar gesagt, dass meine Nerven genauso angegriffen sind wegen des armen Mädchens – das gute Kind. Immer ein freundliches Wort und so hübsch wie ihre Mutter. Haben sie die schönen Fotos gesehen?«
    Frau Wieland war offensichtlich die einzige glückliche Person im Haus. Rote Wangen verrieten, mit welcher Begeisterung sie die letzte halbe Stunde damit verbracht haben musste, ihre Neugier und ihre Sensationssucht zu befriedigen. Angewidert schüttelte Erika ihren Kopf.
    »Und auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Dankeschön und ab jetzt übernehme ich!«
    »Nein, nein, nein, haben Sie mir eben nicht zugehört? Ich habe Ihnen doch erklärt, dass Frau Blum mich jetzt braucht. Sie hat einen Schock und weil ich die ganze Zeit bei ihr war, vertraut sie mir und kann momentan nicht auf meine Unterstützung verzichten!«
    »Und Sie sind unfähig einzusehen, dass es ihr dank Ihrer Hilfe überhaupt nicht besser geht und dass sie jetzt eine wahre Freundin braucht!«
    »Dass ich nicht lache! Wahre Freundin! Wo sind Sie denn in ihrer Not gewesen? Beim Frisör? Ich sag ja immer, wer solche Freunde hat, der braucht …«
    Erika zuckte zusammen. Sie hatte ja recht. Ein Blick durch die halb geöffnete Wohnzimmertür auf Sandra, die wie in Trance den Arzt ansah, der ihr gerade eine Injektion gab, machte ihr Herz noch schwerer. Wie blass, zerbrechlich, je regelrecht zusammengefallen sie jetzt wirkte.
    Eine dicke, schwarze Katze stahl sich durch die offene Terrassentür und sah sich – wohl nicht zum ersten Mal erwartend, gleich wieder hinausgeworfen zu werden – misstrauisch um. Da sie aber niemand beachtete, erhob sie selbstsicher ihren Schwanz und trabte auf das Sofa zu, um dort mit einem Satz zu landen. Leider aber war das Tier für solche Aktionen eindeutig zu fett und deshalb fiel der Sprung nicht gerade elegant aus. Scheppernd kippte eine Teetasse um; der Inhalt ergoss sich auf die Polster.
    »Mei, wie süß, mein Mohrli ist da, um auch zu trösten!«, flötete eine begeisterte Frau Wieland. Drei Minuten später fand sie sich, den schnurrenden Kater auf dem Arm, vor der Haustür Bauerstraße 100 wieder.

22
    Der Sturm wirbelte das trockene Laub auf. Kleine Äste wurden abgerissen. Claudia kniff zum Schutz die Augen zu. Scheiße, es war höchste Zeit, sich aus der Gefahrenzone zu bringen. Wenn sie jetzt einen Spurt einlegen würde, könnte sie es noch zur Jagdhütte schaffen, ohne bis auf die Haut nass zu werden, dachte sie. Ein Blitz zischte auf, erleuchtete die schwarze Wolkenfront und wurde gleich von zwei weiteren Blitzen abgelöst. Drei Sekunden vergingen, dann setzte ein Donnerknall ein, der der jungen Kommissarin fast das Herz zum Stehen brachte. Zu nah, viel zu nah!
    Eigentlich hatte sie keine Angst vor Gewittern, im Gegenteil: Für sie gab es nichts Schöneres, als mit gespannter Aufregung abzuwarten, wenn der Himmel im Hintergrund bedrohlich schwarz wurde, während sich die Welt vor ihren Augen, noch von der Sonne beschienen, in trügerischer Sicherheit wähnte. Das Gefühl der Vorfreude auf die Gefahr, die Gewalt, das Ende und den Neuanfang genoss sie mit einer Art voyeuristischem Fatalismus. Jedoch gab es einen Unterschied, ein Unwetter in der Geborgenheit eines Hauses zu beobachten oder sich mittendrin und schutzlos zu befinden.
    Claudia überlegte fieberhaft. Wenn sie es nicht schaffen würde, müsste sie einen Unterschlupf finden. »Eichen sollst du weichen, Buchen sollst du suchen!« Ausgerechnet dieser dumme Spruch schoss ihr durch den Kopf und sie musste kurz

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