Der Semmelkoenig
gestoßen worden – hatte sie sehen können, wie Josef ungeniert auf Sandras Dekolleté gestarrt hatte. Im Nachhinein war sie sich aber nicht ganz sicher, ob die Freundin nicht doch mit Absicht ihre Reize präsentiert hatte. Vermutlich war es ein Zusammenspiel von allem gewesen. Ein verliebtes junges und leider betrunkenes Mädchenhatte schwankend auf einer Bierbank versucht, das seelische und körperliche Gleichgewicht zu halten. Als es Erika dann schließlich gelungen war, sich wieder zu den anderen durchzukämpfen, hatte Sandra nur die Augen verdreht.
»Na, auch mal wieder da? Wo haste dich denn rumgetrieben? Wohl geknutscht?«
Sie hatte gekichert, denn Josef hatte ihr etwas ins Ohr geflüstert.
»Du bist ja ein ganz Schlimmer, du Hallodri!«
»Komm Sandra, lass uns gehen!«
Erika hatte sie am Arm gepackt, aber Sandra hatte von alledem nichts wissen wollen.
»Geh doch, wenn’s dir fad is!«, hatte sie gelallt sich an Josef festgehalten, dessen Hand bereits besitzergreifend auf ihrem prallen Hinterteil gelegen hatte. »Ich hab hier ’nen großen Spaß!«
»Sandra!«
»Naa, i mog ned!«
Bevor Erika jedoch weiter insistieren hatte können, hatte Josef sich zu ihr gebeugt und drohend den Zeigefinger auf sie gerichtet.
»Hörst schlecht? Des Madl mog no ned! Schleich di oiso, du dirre Goaß, du!«
Erika hatte Josef noch nie leiden können. Er war der aufgeblasene Spross der hiesigen Oberschicht gewesen. Erbe einiger gut laufender Bäckereien, die im Schweiße seiner Vorfahren aufgebaut, aber erst nach seiner Übernahme zur Goldgrube worden waren. Damals hatte das noch keiner ahnen können, aber selbst dann hätte Erika ihn verabscheut, vermutlich noch mehr.
»Ich hätte dich vor dreißig Jahren nicht alleine lassen dürfen! Es war mein Fehler!«
»War es nicht, Erika. Ich war so dumm und so verliebt gewesen und ich hätte in dem Moment alle verraten, nur um bei ihm zu sein. Dieses Schwein! Wie hat er dich damals beschimpft? Als dürre Ziege? Wenn ich doch mehr Rückgrat gehabt hätte … Aber jetzt wird sich einiges ändern. Heute bin ich eine andere! Alles wird gut, du wirst schon sehen.«
32
»Hören Sie, mein Name ist Stephan von Hasenbach. Stephan bitte mit Peh Ha. Und ich bin Privatdetektiv. Hier ist meine Visitenkarte.«
»Oh, tatsächlich?«
Hannes nahm mit spitzen Fingern die Visitenkarte des dicken Mannes, setzte sich würdevoll auf das Sofa und las dann mit andächtig getragener Stimme vor.
»Stephan – mit Peh Ha – von Hasenbach. Privatermittler, Sonnenstraße 58 in 80337 München. Telefon 089 blablabla. Beeindruckend! Claudia, hilf mir mal auf die Sprünge: Ist München nicht eine große Stadt, die weit, weit weg liegt?«
»Jap!«
Claudia, eingewickelt in die rote Plüschdecke, die bis vor fünf Minuten noch das verruchte Wasserbett geziert hatte, hielt sich kichernd an ihrer Tasse mit heißem Grog fest. Nachdem die durchnässte Gesellschaft wieder in die Hütte gegangen war, hatte der Oberförster ein kleines Wunder vollbracht, indem er, während die anderen nach Decken und trockenen Kleidungsstücken suchten, schnell den Kamin entfacht und dieses köstlich heiße Starkgetränk gezaubert hatte. Hannes sah versöhnlich zu dem Mann, dessen Filzhut jetzt vor dem Feuer hing.
»I glaab des is fei so weit, dass i do ned mit meim Bulldog in oana Woch hikemma kant«, nahm Claudia den Faden wieder auf. Jetzt kicherte auch Hannes, obwohl er kein Wort verstanden hatte.
»Sie wollen mich wohl veräppeln, oder?«
Das Gesicht von Stephan mit Peh Ha lief gefährlich rot an.
»Nicht nur, dass ich von einer Polizistin fast zu Tode gehetzt worden bin, Sie haben auch noch die Frechheit, sich über mich lustig zu machen!«
Ehe er sich jedoch versah, war Hannes aufgesprungen und hatte seine Fäuste rechts und links auf die Armlehnen des Sessels, in dem von Hasenbach saß, gestützt, sodass es für diesen keine Fluchtmöglichkeit gab und er nur noch in die gefährlich blitzenden Augen des Polizeibeamten starren konnte.
»Jetzt hören Sie mal zu, Sie Clown! Wir finden es doch sehr merkwürdig, dass da jemand aus München zufällig in einem Gebüsch sitzt, das nicht zum Englischen Garten gehört, und dabei die Dreistigkeit besitzt, meine Kollegin zu belästigen, während ein Sturm losgeht, sodass die ganze Gegend zum Katastrophengebiet erklärt wurde. Was sind Sie eigentlich? Ein Perverser? Ein Stalker? Ein Leichenfledderer? Wussten Sie, dass wir hier mittlerweile zwei Mordfälle behandeln? Was
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