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Der Semmelkoenig

Der Semmelkoenig

Titel: Der Semmelkoenig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Hirschel
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begrüßten! Claudia öffnete die Augen. Wasti – wieder einmal brutal am Nacken gepackt und zurückgerissen – jaulte auf.
    »Madl? Geht’s wieder?«
    Etwas verschwommen blickte sie in ein freundlich besorgtes Gesicht.
    »Der Herr Oberförster?«, murmelte sie schwach. »Das is ja ’ne Freud, Sie so bald wiederzusehen!«
    »Ganz meinerseits. Besonders, da wir anscheinend in letzter Sekunde gekommen sind.«
    Langsam kamen ihr die Bilder wieder in den Kopf. Der Kampf, ihr kurz bevorstehendes Ende und die Rettung. Der Hund! Wasti hatte ihr das Leben gerettet! Langsam versuchte sie sich aufzurichten.
    »Jetzt aber mal ganz piano, junge Frau«, ermahnte sie der Oberförster.
    »Geht scho. Danke!«
    Mit seiner Hilfe kam sie auf ihre wackeligen Beine und wurde schwanzwedelnd von Wasti begrüßt.
    »Guter Hund!«, sie kraulte ihn hinter den Ohren. »Du hast mich gerettet, weißt das eigentlich? Dank dir!«
    Ihr Blick fiel jetzt auf die Absperrung. Sie war zerbrochen. An einer der Latten hing ein Fetzen von Georgs Jeanshemd und wehte leicht im Wind.
    »Der Schorschi?«, fragte sie.
    »Den hat’s dabatzt, fürcht i!«
    »Wie schlimm?«
    »Keine Ahnung! Ich war noch nicht drunt. Hab mich erst mal um dich kümmern müssen. Lagst da wie tot.«
    »Schon klar.«
    Auf seinen Arm gestützt ging sie langsam an den Rand der Plattform und sah hinunter. Da lag der Mann, den sie hatte heiraten wollen. Er sah merkwürdig aus. Seine Arme ausgestreckt, als würde er einen Schneeengel machen wollen, das linke Bein sonderbar verdreht, den Kopf auf der Seite. Das Wasser hatte sich zartrosa verfärbt.
    »Er blutet!«, flüsterte sie entsetzt und krallte sich im Janker des Oberförsters fest.
    »Hm, sieht wirklich nicht so gut aus!«, bestätigte der Oberförster.
    »Wir sollten mal nach …«, weiter kam sie nicht, denn wie aus dem Nichts brach plötzlich aus den Gebüschen rund um das Becken eine Schar Jungen hervor, die sich gehetzt und abgerissen sofort in einer Reihe aufstellte. Bewaffnet mit Stöcken hatten sie keinen Blick für den Verwundeten – es war offensichtlich, dass sie ihn nicht einmal bemerkt hatten – denn ihre Konzentration richtete sich sofort auf die Richtung, aus der sie gerade gekommen waren.
    »Ja, Kruzifi..!«, der Rest der Worte des Oberförsters ging in dem mörderischen Gebrüll unter, das augenblicklich einsetzte, als weitere Jungen – ebenfalls bis an die Zähne bewaffnet – heranstürmten und die Schlacht begann.
    Siggi war im Blutrausch. Es hatte sich zu viel Frustration angestaut und endlich war ein Ventil gefunden. Nachdem er den Kampf am späten Vormittag gegen Julian dann doch verloren hatte und er seine Wut nicht mehr an Paul hatte auslassen können, da dieser wie vom Erdboden verschluckt war, schien der Tag für ihn gelaufen. Selbst der Gedanke an seine heulende kleine Schwester, deren Puppe er heute Morgen den Kopf abgerissen hatte, war keine Aufheiterung gewesen. Er fühlte sich wie ein Versager! Der Respekt seiner Gang und seine Position als Anführer waren in Gefahr und es musste schleunigst ein Wunder geschehen, sonst konnte er auswandern.
    Aber wie das nun bei Krisensituationen – sowohl privater als auch politischer Natur – der Fall ist, konnte mit einem Krieg von dem eigentlichen Problem abgelenkt werden. Siggi hatte gerade geschlagen nach Hause trotten wollen, als dieser unverhoffte Wendepunkt eingetreten war. Denn genau in diesem Moment waren sie um die Ecke gebogen: die verwöhnten Knaben von der Luitpoldstraße in ihren sauberen, schicken Poloshirts und den teuren Markenjeans.
    Das erste Gemetzel hatte gleich vor Ort stattgefunden. Verluste: Zwei Schnösel liefen weinend mit Nasenbluten nach Hause. Dann hatte die Jagd durch den Wald begonnen. Aus dem Hinterhalt hatten die Luitpold-Jungs einen Gegenschlag starten können. Diesmal hatte es einen Ausfall in den eigenen Reihen gegeben: Julians Hand war sehr wahrscheinlich gebrochen. Wenigstens hatte er nicht geweint, als er nach Hause gelaufen war. Damit war er wieder in Siggis Achtung gestiegen.
    Doch die Einbuße eines so guten Kämpfers entfachte zusätzlich alle Reserven der Bauerstraßengang. Das Gefecht – beide Seiten hatten mittlerweile mit größeren und stärkeren Stöcken aufgerüstet – hatte jetzt ungeahnte Ausmaße angenommen. Dort ein blaues Auge, hier ein Tritt in die Weichteile, da ein Schlag in den Solarplexus, auf den Kopf, gegen die Kniescheibe. Es gab keine Regeln mehr, selbst mädchenhaftes Kratzen, Beißen und

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