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Der Semmelkoenig

Der Semmelkoenig

Titel: Der Semmelkoenig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Hirschel
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keine Integrationsschwierigkeiten hatte? Neben ihrem Hunger auf Leben war sie noch hochintelligent – außer wenn es um Computer ging – und lernte in kürzester Zeit nicht nur Deutsch, sondern sprach besser Bayerisch als er, obwohl er hier geboren und aufgewachsen war. Das Kopftuch wurde mittlerweile als Putzlappen benutzt und Elif schien sich nur noch darauf zu konzentrieren, ihm das Leben schwer zu machen. Sie wartete auf den Absprung, stand in Startposition und würde vielleicht schon heute mit einem der Muskelprotze durchbrennen. Ein kleiner Fluch riss Ercan aus seinen düsteren Gedanken.
    »Krautschneider! Nicht schon wieder!«, rief er wütend. »Du sollst von den Geräten wegbleiben. Die sind teuer und kein Spielzeug!«
    »Ich …«, setzte der gerügte Beamte zur Erklärung an. »Ich hab doch gar nix angefasst. Bin gestolpert, über das blöde Kabel. Aber es is nix passiert.«
    »Klar, des sagt ihr immer!«
    Ercan überprüfte die Anlage. Offenbar war wirklich alles in Ordnung. Trotzdem warf er Krautschneider einen extrabösen Blick zu. Die Tür öffnete sich und eine junge, dralle Frau mit figurbetonter Kleidung kam herein. Sie warf ihre schönen, schwarzen Haare in den Nacken, fing sie auf und machte daraus geschickt einen Pferdeschwanz. Sich sehr wohl der Tatsache bewusst, dass sie eine willkommene Abwechslung darstellte, lächelte sie kokett. Krautschneider sog hörbar die Luft ein.
    »So, meine Herren. Wie geht’s denn soweit?«
    Schuster erhob sich von dem Lehnstuhl in der Zimmerecke, wo er es sich mit einem Magazin bequem gemacht hatte, und kam strahlend auf sie zu.
    »Ines, du schönste aller Schönen, du bringst endlich Glanz in diese Langweilertruppe. Krautschneider macht alles kaputt und Ercan ist heute sowieso so mies drauf, dass er uns am liebsten schon die Kehlen aufgeschlitzt hätte, hätte sich sein Onkel nicht das Messer zum Kebabschneiden ausgeliehen.«
    »Ay, madre de dios. Doch so schlimm?«, lachte sie. »Na, dann werd ich mal meiner Mutter sagen, dass sie einen kleinen Imbiss zubereitet, damit ihr euch beim Warten nicht gegenseitig zerfleischt. Was haltet ihr von leckeren Bocadillos?«
    »Klingt wunderbar!«, seufzte Schuster, der keine Ahnung hatte, wovon sie sprach, aber er würde alles essen, was ihm von diesen zarten Händen gebracht wurde.
    »Für mich bitte ohne Schweinefleisch!«, rief Krautschneider und Ercan schaute ihn verwundert an.
    »Wie jetzt? Bist du auch Moslem?«
    »Naa, aber ich hab ’nen Onkel, der Schweinebauer is. Da vergeht dir der Appetit, sag ich dir.«
    »Keine Sorge, dann machen wir zwei mit Käse und eins mit Schinken, okay?«
    »Klingt noch wunderbarer!«, schnurrte Schuster jetzt ganz nah bei ihr. »Und hättest du vielleicht eine andere Zeitschrift für mich? Mit ›Hund & Jagd‹ bin ich jetzt durch. Bis auf die Waffen bockelangweilig. Vielleicht irgendwas mit Motorrädern oder so?«
    Ein Telefon klingelte. Alle vier erstarrten. Der Entführer? Nein, es war nur Ercans Handy. Schnell nahm er den Anruf an.
    »Elif? Was is?«, mehr konnte man nicht verstehen, denn er verfiel gleich ins Türkische. Dass er aber sehr aufgebracht war, ließ sich an der Lautstärke erahnen. Schimpfend begann er im Zimmer auf- und abzulaufen, ging zum Fenster, blickte hinaus, fluchte wieder, drehte um, umkreiste die Gruppe, stampfte auf und schrie zum Abschied noch etwas ganz Unerhörtes in den Apparat. Nachdem er aufgelegt hatte, war er ganz außer Atem. Erst jetzt bemerkte er sechs neugierige Augenpaare, die auf ihn gerichtet waren.
    »Ach, nix Besonderes«, versuchte er die Angelegenheit herunterzuspielen. »Nur die Tageseinnahmen sind heute bei null. Wir haben da einen Virus oder so. Macht aber gar nix. Ich hab ja hier den Bombenjob, sodass das wieder ausgeglichen ist.«
    Es war das alte Lied. Geld verschloss die Augen für das Wesentliche, denn sonst hätte Ercan vorhin am Fenster bemerkt, wie ein Mann zu einem parkenden Auto geschleift worden war und der Wagen dann mit überhöhter Geschwindigkeit und quietschenden Reifen die verkehrsberuhigte Zone verlassen hatte.

91
    Die Ameise hatte es an die Tischkante geschafft. Jetzt gab es nur das winzige Problem, den Krümel weiter abzutransportieren. Verstärkung wäre nicht schlecht.
    »Wer also könnte deiner Meinung nach hinter der ganzen Sache stecken?«
    Inga nahm eine Serviette und wischte über den Tisch. Die kleine Ameise mitsamt ihrer Beute flog im hohen Bogen auf den Boden. Manchmal konnte die Lösung doch so einfach

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