Der Sensenmann
weiß er Bescheid?«
»Richtig, John, er weiß es. Er muß mir auch auf der Spur geblieben sein. Du kannst dir vorstellen, daß ich keinen besonderen Rest der Nacht gehabt habe.«
»Das bestimmt. Meinst du, daß er an dich heranwollte, weil du eine Zeugin gewesen bist? Nicht mittelbar zwar, aber…«
»Ja, so sehe ich es.« Sie sprach jetzt schnell. »Im Endeffekt ging es doch um Maria Much. Sie wurde ermordet. Dieser Sensenmann ist extra hoch auf den Berg gekommen, um seine Tat zu vollbringen. Das macht man doch nicht grundlos. Da hätte er sich auch jeden anderen aussuchen können, wenn es ihm nur darum gegangen wäre, jemand zu töten. Oder liege ich da falsch?«
»Sicherlich nicht.«
»Eben, das meine ich doch.«
»Kannst du dir denn einen Grund vorstellen, weshalb er deine Freundin getötet hat?«
Sarah Goldwyn schüttelte langsam den Kopf.
»Und doch muß es einen gegeben haben«, sagte ich.
»So denke ich ja auch, John. Aber Maria Much war eine harmlose Person, die keiner Fliege etwas zuleide tun konnte. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, warum ein Monstrum wie dieser Sensenmann es gerade auf sie abgesehen hat.«
»Ich kann es dir nicht sagen.«
»Und was ist mit dem zuständigen Kommissar? Du hast ihn doch kennengelernt.«
»Ja, er heißt Uwe Hinz, und er ist ein ruhiger und besonnener Mann. Er sagt nur das, was er sagen will.
Ich habe versucht, ihn über die beiden Toten zu befragen, die es bereits gegeben hat, aber er hüllte sich in Schweigen.«
»Du siehst eine Verbindung?«
Sarah winkte zunächst einmal ab. »Das kann ich nicht so genau bestätigen. Ich nehme es nur an, weil man ein großes Geheimnis um die beiden Toten macht. Man hat zwar in der Zeitung von den Morden lesen können, aber die genauen Begleitumstände waren nicht aufgeführt. Da hüllt man sich in Schweigen.«
»Und der Kommissar kommt her?«
Sie nickte. »Eine genaue Uhrzeit hat er nicht sagen können. Der Mann hat auch viel zu tun. Ich hoffe ja nur, daß er uns weiterhelfen kann, John.«
»Was hast du ihm von mir erzählt?«
Beinahe unschuldig schaute sie mich an. »Die Wahrheit, mein Junge, nichts als die Wahrheit.«
»Auch das noch.«
»Wieso?«
»Ich möchte nicht, daß mich der gute Kommissar als eine Konkurrenz im eigenen Lager ansieht.«
»Das glaube ich nicht. Er war anscheinend sogar froh darüber, daß er Hilfe bekommt.«
»Dann bin ich ja zufrieden.«
»Da kommt er übrigens.« Sarah saß besser zur Tür als ich. Den Kopf drehte ich nicht, aber ich hörte hinter mir die Schritte, und einen Moment später stand Kommissar Hinz an unserem Tisch.
Ich erhob mich.
Der Kommissar lächelte. »Sie also sind John Sinclair. Es freut mich.« Er streckte mir die Hand entgegen. »Ich heiße Uwe Hinz.«
Auch ich nannte meinen Namen und stellte fest, daß mir der Kommissar auf Anhieb sympathisch war. Mit diesem Mann konnte man auskommen.
So wie er aussah, deutete seine Lebenseinstellung auf einen Genießer hin, der sicherlich gern man ein Bamberger Rauchbier trank, die besonders leckeren Brat Würstchen ebenso gern aß wie den exzellenten Leberkäse. Er war so um die Fünfzig herum oder knapp darüber. Das Haar war grau geworden und hatte sich an der Vorderseite des Kopfes schon zurückgezogen. Auf der anderen Hälfte wuchs es lockig. Helle Augen, ein freundliches Gesicht mit offenem Blick. Er stand da, lächelte, wippte etwas auf den Ballen und fragte dann, ob wir uns nicht setzen wollten.
Damit war ich einverstanden. Der Kommissar begrüßte auch Lady Sarah. Dann zog er seinen Mantel aus und hängte ihn über einen anderen Stuhl. Er trug ein graues Jackett, dazu eine schwarze Hose, ein weißes Hemd und eine dezent gemusterte Krawatte. Er bestellte bei der Kellnerin Kaffee.
»Tja, Herr Sinclair«, begann er und legte seine Stirn in Falten. »Wenn ich Ihre Freundin richtig verstanden habe, kommen Sie aus London und sind so etwas wie ein Geisterjäger.«
»Diesen Namen hat man mir gegeben.«
Er lächelte knapp. »Und das können wir hier gebrauchen, denn diese Verbrechen sind für mich nicht nachvollziehbar. Erst recht nicht, was ich an Zeugenaussagen gehört habe.«
Ich fand es toll, daß er mich ohne groß nachzufragen akzeptierte. Da mußte Sarah ihn wirklich auf mich vorbereitet haben. »Es deutet auf einen Sensenmann hin. Meinen Sie, es könnte jemand sein, der sich verkleidet hat und hier nachts durch die Straßen schleicht wie die Geschöpfe eines E.T.A. Hoffmann?«
»Keine Ahnung«, sagte er.
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