Der Sensenmann
Beispiel vorangegangen.
Die Gruppe der Japaner war ebenfalls verschwunden. Leer lag der Kirchplatz vor mir. Er endete an der breiten Treppe, die sich nach unten hin öffnete wie ein großer Mund.
Ich ging über den Hof hinweg, sah mir auch die Fassade des Heims an, hinter dessen Fenster ab und zu schon Licht brannte. Es gab keine Sonne mehr. Dafür waren dicke Wolken aufgezogen, und ein kalter Wind wehte über den Berg hinweg.
Ich wollte die Kirche umrunden. Natürlich dachte ich an Lady Sarah, aber es wäre vermessen gewesen, zu hoffen, jetzt schon eine Spur von ihr zu finden.
Ich stellte den Kragen der Jacke hoch, um mich ein wenig vor dem Wind zu schützen. Die Bäume, die seitlich der Kirche standen, zeigten ein schüchternes Grün, und ich sah auch das Lokal nebst seinem Biergarten. Er lockte im Sommer sicherlich Touristenströme an, die bei Rauchbier und Brotzeit einen herrlichen Blick über die alte Stadt genießen konnten.
Ich schaute über die Dächer hinweg, deren Farbe in unterschiedlichen Rottönen schimmerte. Das Lokal hatte geschlossen. Ich war allein mit dem Wind und der mächtigen Kirche hinter meinem Rücken.
Der berühmte Bamberger Dom war ebenfalls zu sehen. Ich würde nicht einmal den Reiter sehen können, wenn es so weiterging. Alles war unwichtig geworden, nur Lady Sarah zählte.
Sollte ich mit meinem Verdacht recht behalten und sollte sie sich hier tatsächlich aufhalten, dann mußte ich natürlich nach Verstecken suchen. Ich war fremd hier. Herr Eberle konnte mir helfen. Daß man Sarah in die Kirche geschafft haben könnte, daran konnte ich einfach nicht glauben.
Ich ging weiter und näherte mich der Rückseite der Kirche. Auch von dort war der Blick über die Stadt wieder prächtig. Ich entdeckte einen schmalen Weg, der nach unten in das Tal hineinführte. Noch immer wehte mir der Wind um die Ohren, den ich als leises Knattern hörte. Hoch über mir jagten die Wolken hinweg wie Flüchtlinge, die es in dieser Welt nicht mehr aushielten.
Ich wollte mich drehen und mich auf den Rückweg machen, um die Kirche durch das Hauptportal zu betreten, da hörte ich das Lachen. Es war ein scharfes, ein grelles und irgendwie auch böses Geräusch, aber es war auch sehr leise, hörte sich weit entfernt an und war trotzdem sehr nah, wie ich meinte.
Mitten in der Bewegung erstarrte ich. Dieses lachen gefiel mir nicht. Es klang nicht normal, sondern hatte sich abgrundtief häßlich angehört, schon erschreckend widerlich.
Ich konnte mir gut vorstellen, daß der verdammte Sensenmann dieses Lachen ausgestoßen hatte, und ich wartete voller Spannung darauf, daß es sich wiederholte. Den Gefallen tat man mir leider nicht. Es blieb still, und ich hörte nur den Wind.
Eingebildet hatte ich es mir auch nicht. Und es war auch nicht hier im Freien aufgeklungen. Eigentlich kam als Quelle nur ein Platz in der Kirche in Frage.
Die nächsten Schritte ging ich schneller. Es drängte mich jetzt, die Kirche zu betreten, und mit langen Schritten lief ich die breite Freitreppe hoch.
Wenig später stieß ich das Portal auf. Ich betrat eine andere Welt. Die Stille, die Andacht, der leichte Geruch nach Weihrauch und Weihwasser. Die prächtige Ausstattung, die Altäre und die leeren Bankreihen, zwischen denen ich einherging – dies alles sorgte dafür, daß ich mich so klein fühlte.
Trübes Licht drang durch die Fenster, das nicht alle Schatten vertreiben konnte. Ich lauschte meinen eigenen Schritten nach und wartete darauf, daß sich der Schrei wiederholte. Oder war es doch nur ein Lachen gewesen? Ich war mit nicht mehr sicher, was ich gehört hatte, und das ärgerte mich.
In angemessener Entfernung blieb ich vor dem Altar stehen. Um mich herum bewegte sich nichts. Die Kirche war immer ein Hort gegen die Mächte aus dem Dunkeln. Sie war das zu Stein gewordene Zeichen des Lichts, das die Finsternis besiegt hatte. Selbst der Teufel haßte dieses Gebiet, und so fragte ich mich, ob es auch der Sensenmann tat. Er hatte sich hier oben festsetzen wollen, wenn ich den alten Chroniken Glauben schenken wollte. Aber hier war heiliger Boden. Er würde es nicht schaffen. Er war ein Mörder, ein verdammter Verbrecher und Menschenschänder. Er mußte Orte wie diesen hassen. Aber er hatte es auch geschafft, über das Kreuz mit mir in Kontakt zu treten.
Dies wiederum ließ darauf schließen, daß sich noch etwas anderes hinter seiner Maske verbarg.
Im Parkhaus hatten wir ihn gesehen, und auch jetzt suchte ich den Schatten der
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