Der Serienmörder von Paris (German Edition)
Philosoph mit einer nicht gekannten Wortwahl, doch er nahm das Angebot an. Simone de Beauvoir schwärmte noch Jahre danach, ihn niemals so glücklich erlebt zu haben.
Am 11. Januar 1945 machte sich Sartre zu einem 24-stündigen Flug in einer nicht luftdruckausgeglichenen DC-8 des Militärs auf, nur drei Mal durch Kurzaufenthalte unterbrochen. Es war seine erste außereuropäische Reise, zu der er 32 Artikel in Combat und Le Figaro veröffentlichte. Darin erzählte er von den Erfahrungen in einem Land, das er früher mit der Zukunft synonym gesetzt hatte, und thematisierte u. a. die Themen Wolkenkratzer, Jazz und Filme. In Manhattan dinierte Sartre mit Antoine de Saint-Exupérys Witwe Consuelo in ihrer Wohnung mit Blick auf den East River. Ursprünglich war es für Greta Garbo eingerichtet worden. Saint-Exupéry, der Autor des ein Jahr zuvor erschienenen Büchleins Der kleine Prinz , war seit dem 31. Juli 1944 nach einem Aufklärungsflug über korsischen Gewässern verschollen. Sartre traf sich auch mit W. H. Auden und wohnte einer Privatvorführung von Citizen Kane bei. Endlich konnte er den schon lange geliebten Jazz hautnah erleben und besuchte ein Konzert von Charlie Parker an der 52. Straße.
Sartre ließ ein Paris hinter sich, das unter den Nachwehen der Befreiung litt, die sich in Kürzungen niederschlug, andauernden Rationierungen und der ständigen Bedrohung, als Nazi-Kollaborateur denunziert zu werden. Man flog Sartre von Küste zu Küste und beförderte ihn auf dem Landweg mit einer Limousine. Er besuchte eine Cocktail-Party von Walter Lippmann in Washington D.C., ließ sich durch die Hollywood-Studios führen, flog über den Grand Canyon, diskutierte in Chicago mit Gewerkschaftsführern, sprach mit Farmern im Mittleren Westen und erlebte im Süden die tiefen sozialen Verwerfungen und die Kluft zwischen den Rassen, die das politische Klima im „Land der Freiheit und Gleichheit“ durchdrangen. Am 9. März empfing man ihn sogar im Weißen Haus. Präsident Franklin D. Roosevelt schwärmte von seiner Liebe zu Frankreich und von einer Fahrradtour, die er als Kind in dem Land unternommen hatte. Er zeigte ihm sogar die Sammlung von Miniatureseln, die, wie Sartre den französischen Lesern erklärte, als Symbol für die Demokraten standen.
Doch das wohl wichtigste und denkwürdigste Ereignis des Jahres fand in Paris statt. Am 29. Oktober 1945, fünf Monate nach dem 40. Geburtstag und der zeitgleichen Entscheidung, die Lehrtätigkeit zugunsten seiner Schriftstellerlaufbahn aufzugeben, hielt Sartre eine öffentliche Vorlesung mit dem Titel Ist der Existenzialismus ein Humanismus . Der ehemalige Lehrer stand vor 200 bis 300 Zuhörern, ohne Notizen, die Hände in den Taschen und definierte das philosophische Gedankengebäude, das schon bald untrennbar mit seiner öffentlichen Persönlichkeit verschmolz. Der Existenzialismus, das „ist die Lehre, die das Leben des Menschen ermöglicht“.
Der Krieg und die unvorstellbaren Gräueltaten führten zu einem Zustand sich ständig ausbreitender Desillusionierung. Schon in diesen Monaten wurde Sartres Philosophie oftmals als Sinnbild für den Schmerz und die Verzweiflung der Nachkriegszeit zitiert. Der Intellektuelle widersprach sowohl den konservativen als auch den kommunistischen Kritikern und präsentierte seinen Ansatz als eine „Lehre, die auf Optimismus und dem Handeln basiert“: „Der Existenzialismus definiert den Menschen durch seine Taten, vermittelt die Ansicht, dass die Hoffnung nur im Handeln liegt und nur das Handeln die Existenz berechtigt. Der Mensch verschreibt sich dem Leben und zeichnet somit ein Bild von sich selbst, hinter dem das Nichts liegt. Wir sind allein und können uns nicht entschuldigen. Darauf beziehe ich mich bei der Behauptung, dass der Mensch zur Freiheit verdammt ist.“
Maurice Nadeau betitelte seinen Artikel über die Vorlesung in Combat mit: „Zu viele Besucher bei Sartres Vortrag. Hitze, Schwindelanfälle, Polizei. Lawrence von Arabien ein Existenzialist.“
Andere zeigten sich weniger beeindruckt. Ein Reporter des Samedi Soir schrieb, dass Sartre möglicherweise ein Held „der bärtigen Jugendlichen von Saint-Germain-des-Prés“ sei, für einen gebildeten Leser jedoch eher ein „Mörder“. Er stehle seine Ideen von deutschen Philosophen wie Martin Heidegger und kröne die Philosophie der Bastarde mit einem „barbarischen Titel“, den niemand verstehe, aber von dem „alle bei einer Tasse Tee reden“. Hinsichtlich
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