Der Serienmörder von Paris (German Edition)
Geschicklichkeit, schlagfertige Antworten zu geben …“ Die Aussage brachte einige Zuschauer zum Lachen und veranlasste Dupin zu der Bemerkung, dass er diese Eigenschaft schon selbst beobachtet habe – und das ohne eine psychiatrische Ausbildung. Génil Perrin erläuterte Petiots gestörte oder „arretierte moralische Entwicklung“ und kam zu dem Schluss, dass dem Angeklagten „für seine Taten die volle Schuldfähigkeit zuzuschreiben ist“.
Dr. Paul Gouriou fügte hinzu, dass Petiot kein „Monster oder Wahnsinniger“ sei, sondern „pervers, amoralisch, ein Schlitzohr und ein Simulant“. In für ihn bedrohlichen Situationen versuche er sich der Strafverfolgung durch Vortäuschung psychischer Unzurechnungsfähigkeit zu entziehen. Das bei Petiot zu konstatierende „Fehlen einer gesunden moralischen Entwicklung erlaubte es ihm, einen Geschmack für den Hauch des Bösen zu entwickeln“.
Floriot erhob den Einspruch, dass die Patienten Petiots einen gegenteiligen Eindruck von ihm gehabt hätten.
„Ich kenne Ärzte, deren mentale Unausgewogenheit sich in einer zunehmenden und übersteigerten Hingabe für ihre Patienten zeigt.“
„Hat er Ihnen vorgespielt, verrückt zu sein?“, fragte Petiot.
„Nein, das nicht, aber er hat in vielen Punkten gelogen.“
„Sie schlussfolgerten, Petiot hätte das Studium auf eine ‚mysteriöse‘ Art und Weise beendet. Kennen Sie seine Prüfungsergebnisse?“
„Ich habe die Noten gesehen. Er hatte im Anatomiekurs lediglich ein ‚Befriedigend‘ erhalten“, antwortete Gouriou unter Lachen des Publikums. „Die Doktorarbeit wurde mit ‚Sehr gut‘ bewertet, doch das ist nicht allzu schwierig. Falls benötigt, kann jeder eine Doktorarbeit schreiben lassen. Auf jeden Fall basiert so eine Arbeit auch auf Büchern und lässt keine Rückschlüsse auf die Qualität eines Arztes zu.“ Floriot wies darauf hin, dass der Zeuge Andeutungen ohne Beweise mache. Dann fragte er den Experten, ob er bei der Untersuchung von Petiots Verwandten Auffälligkeiten hinsichtlich seiner Schwester gefunden habe. Nach kurzem Zögern sagte Gouriou: „Sie befindet sich in einem gesundheitlich guten Zustand.“
„Es tut mir leid, aber Petiot hat gar keine Schwester.“
Im Gerichtssaal brach ein wahrer Orkan des Lachens aus, der Leser zu einer Unterbrechung zwang.
Der Prozess wurde mit dem berühmten Graphologen Professor Edouard de Rougemont fortgeführt, der bezüglich der angeblich von Van Bever, Khaït, Braunberger und Hotin geschickten Schriftstücke seine Meinung kundtun sollte. Rougemont glaubte, dass es sich um echte Schriftstücke handelte, obwohl der Text im Gegensatz zur mutmaßlichen Gefühlslage der jeweiligen Autoren stand. Der Graphologe stellte einen hohen Erregungsgrad fest. Möglicherweise waren die Zeilen unter Nötigung oder dem Einfluss von Drogen diktiert worden.
Floriot fragte den Gelehrten, ob sich diese Rückschlüsse tatsächlich an einer Handschriftenprobe festmachen ließen. Nachdem er das bejaht hatte, schrieb Floriot etwas in seine Notizkladde, riss die Seite heraus und reichte sie dem Experten. Würde er das hohe Gericht vielleicht informieren, ob seine Aussage zuträfe? Rougemont las den Text und verweigerte eine Antwort. Der Verteidiger hatte Folgendes geschrieben: „Monsieur de Rougemont ist ein großartiger Gelehrter, der niemals Fehler macht.“
„Hätten wir Petiot gebeten, uns seine Geschichte aufzuschreiben, und sie dann Monsieur de Rougemont zur Begutachtung vorgelegt, hätten wir uns den ganzen Prozess sparen können“, höhnte Floriot, wobei das Publikum erneut in Lachen ausbrach.
Als Nächster war Colonel André Dewavrin an der Reihe, Leiter des Geheimdienstes DGER unter Charles de Gaulle. Als der Gerichtsdiener den Namen aufrief, stand ein anderer Mann auf, der erklärte, Dewavrin zu vertreten. Président Leser wurde wegen seiner legeren Handhabe des Prozesses oftmals kritisiert, doch er akzeptierte keine Vertretung als Ersatz für einen Zeugen. Auch Floriot sprach sich dagegen aus, denn die Verteidigung rechnete mit der Aussage des Colonels: Als Leiter von de Gaulles Geheimdienst konnte er Petiots Taten als Résistance-Kämpfer offiziell bestätigen oder widerlegen.
Stattdessen rief man einen Zeugen auf, der aus Sicht der Verteidigung ein hohes Gefahrenpotential für den Angeklagten darstellte. Es war Jacques Yonnet, Autor des Artikels Petiot, Soldat des Dritten Reichs , der eine wichtige Rolle bei der Ergreifung des Flüchtigen gespielt
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