Der Serienmörder von Paris (German Edition)
an die Todeshände und die grotesken Monstren der frühen Tage des Kubismus. Sogar Picassos Farbwahl – meist schwarz, grau oder beige – schien die triste Stimmung der Besatzung widerzuspiegeln.
Sartre, Camus, Beauvoir und die literarische Welt des „Rive Gauche“, des sogenannten linken Seine-Ufers, bereiteten sich alsbald auf ein einzigartiges Stück vor, das am 19. März 1944 uraufgeführt werden sollte. Pablo Picasso hatte es geschrieben. Die Nazis hatten ihm zwar Ausstellungen in Paris verboten, sich jedoch nicht zu Theatervorstellungen geäußert …
Nach der Stippvisite in Villeneuve-sur-Yonne erreichten Massu und seine Kollegen Auxerre am Montag, dem 13. März, um ca. 13 Uhr. Auf der Fahrt hatten sie bei einem Restaurant am Wegesrand Halt gemacht, wo man ihnen wegen der Lebensmittelrationierungen nur eine recht dünne Speisekarte vorlegte. Mit einem witzelnden Unterton beklagten sich die Ermittler über die Schwierigkeiten eines Polizeibeamten, seine Essenskarten auf dem Schwarzmarkt zu Geld zu machen.
Nachdem sie den Kaffee oder besser gesagt die „geröstete Gerste“ getrunken hatten, suchten die Pariser Detektive die Polizeiwache auf, informierten die Kollegen über den Grund ihres Auftauchens und sicherten sich gleichzeitig Verstärkung zur Beobachtung der Bahnhöfe und Quais im Hafengebiet, um ein Entkommen der Eheleute Petiots zu verhindern, die sich offiziell „auf der Flucht“ befanden.
Das Haus an der Rue des Lombards, dessen Adresse auf dem in Paris gefundenen Zettel stand, war unter dem Namen von Marcel Petiots jüngerem Bruder Maurice, dem einige Häuser gehörten, im Katasteramt gelistet. Er lebte aber trotzdem mit seiner Frau und den beiden Kindern, der 13-jährigen Ghylaine und dem achtjährigen Daniel, in einem eher kleinen Appartement über einem Geschäft für Elektroartikel in der Rue du Pont Nummer 56. Ein dritter Minderjähriger wohnte zu dem Zeitpunkt bei der Familie – Gérard, der Sohn von Marcel und Georgette Petiot, der das nahegelegene Lycée Jacques Amyot aus dem 16. Jahrhundert besuchte. Wie die Pariser Polizei feststellte, war die Adresse der Wohnung auf besagtem Zettel zuerst notiert, danach aber wieder ausradiert worden. Die Ermittler wären am liebsten augenblicklich in den Räumlichkeiten vorstellig geworden, doch sie überprüften zuerst Maurice Petiot, einen 37-jährigen gelernten Elektriker, der auf dem Foto wie eine größere, dunklere und besser aussehende Version seines älteren Bruder aussah. Maurice hatte einige Jahre mit finanziellen Problemen gekämpft und letztendlich Insolvenz angemeldet. Erst seit kurzem schien ihm das Glück hold zu sein. Das Geschäft lief hervorragend, und er hatte damit begonnen, sein Geld in Immobilien in der Region anzulegen.
Als die Polizei den Laden betrat, in dessen Regalen eine Vielzahl von Radios und Elektroartikeln stand, die aufgrund der Popularität von BBC und Radio Berlin heißbegehrt waren, trafen sie Maurice Petiot nicht an. Seine Frau, die 31-jährige Marie Angèle Le Guyader Petiot, auch Monique genannt, empfing die Beamten freundlich und hilfsbereit. Sie erlaubte ihnen, sich im Geschäft und auf dem Gelände ohne einen Durchsuchungsbefehl umzusehen. Monique erklärte sich auch bereit, die Ermittler zum Haus in der Rue des Lombards zu führen, das nur drei Blocks entfernt lag.
Massu und sein Team fanden kein normales Haus vor, sondern ein kleines Château. Es stand auf einem Hügel. Man betrat es durch ein prunkvolles schmiedeeisernes Tor. Vor den Fenstern waren kunstvoll verzierte Gitter angebracht. Das Anwesen verfügte über einen Labyrinth-ähnlichen Keller mit zwei langen Korridoren, die sich in eine Reihe römisch anmutender Katakomben erstreckten. Wie konnte sich Maurice Petiot solch ein prunkvolles Anwesen leisten? Der Geschäftserlös aus dem Radio- und Elektrowarenhandel hätte niemals zur Finanzierung gereicht. Monique erklärte, dass das Gebäude von ihrem Schwiegervater Felix Petiot erworben worden war, und zwar unter dem Namen des Sohnes Daniel.
Ihrer Aussage nach bewohnte niemand das Anwesen. Und tatsächlich – trotz der prachtvollen Außenfassade war es im Inneren staubig und unaufgeräumt. Zersplitterte Paneelen und in einer Ecke aufgestapelte Möbel erinnerten auf eine befremdliche Art an die Rue Le Sueur. Auch im oberen Stock ähnelten die Verhältnisse wegen des unbewohnten Zustandes an das Pariser Haus. Allerdings fand sich dort, wie es Pierre Malo vom Le Matin später beschrieb, „die
Weitere Kostenlose Bücher