Der Serienmörder von Paris (German Edition)
dem dreieckigen Zimmer gab es nicht die geringste Spur eines Kampfes. Die Gruppe, mittlerweile durch das unvorstellbare Grauen abgebrüht, wandte sich dann einem weiteren Mysterium des Falls zu.
Auf die Frage nach dem weiteren Tathergang erklärte Massu, dass Petiot die leblosen Körper vermutlich über den Innenhof in den Keller befördert habe. Die von ihm errichteten hohen Mauern machten es den Nachbarn unmöglich, einen Blick in den Hof zu werfen. In dem küchenähnlichen Raum im Keller skalpierte und sezierte er vermutlich den jeweiligen Leichnam. Dazu benutzte er zwei große und tiefe Waschbecken, durch einen schmalen Tisch verbunden, verdreckt mit einer dunkelroten oder bräunlichen Substanz. Dieser Aufbau stand vor einer gefliesten Wand und war groß genug für eine solche Aufgabe. Das Wasser konnte von dem Tisch in das zweite Becken fließen, und von dort aus in einen Behälter. Der Abfluss des größeren und höher gelegenen Waschbeckens führte, wie die Polizei entdeckt hatte, direkt in die Kanalisation.
Bei der Begehung kam Dr. Paul grinsend und mit ausgestreckter Hand auf den Kommissar zu. Massu wusste, dass der Pathologe oftmals Details, die er nicht im Bericht vermerkte, persönlich hinzufügte. „Das erinnert mich an einen Fall vor zwei Jahren“, meinte er. Paul bezog sich auf einen Zeitraum zwischen Mai 1942 und Januar 1943, als man zahlreiche Arme, Beine, Torsi und weitere Körperteile entweder aus der Seine fischte oder in Kartons über das ganze Stadtgebiet verteilt auffand.
Das erste der grauenhaften „Pakete“ tauchte am 7. Mai 1942 auf. Ein mit einem Seil sorgsam verschnürter Koffer wurde unter einer Brücke in der Nähe eines Kanals in Saint-Ouen aus dem Fluss gezogen. Er enthielt den Körper eines ungefähr 45- bis 50-jährigen Mannes, ohne Kopf, Hände und Füße. Der Kopf war nach dem Polizeibericht „ungefähr in Nackenhöhe mit einem sehr scharfen Schneideinstrument knapp oberhalb der Schultern entfernt worden“. Die Hände waren an den Handgelenken abgeschnitten worden (Radioulnargelenk), die Füße unterhalb des Schienbeins (Tibiotarsalgelenk). Davon abgesehen ließen sich keine Narben, Frakturen oder „Spuren einer Gewalteinwirkung“ feststellen. Die Leiche konnte niemals identifiziert werden.
In den nächsten Monaten waren damals weitere schaurige Entdeckungen gefolgt: Am 2. Juli in Neuilly, knapp außerhalb des 16. Arrondissements, am 6. August in Asnières, nordwestlich des Stadtzentrums, am 10. August in Saint-Denis, nördlich des Zentrums, am 19. August erneut in Asnières, gefolgt von mehreren weiteren Funden. Am 22. August 1942 entdeckten Ermittler einen Koffer in Courbevoie, in den nordwestlichen Randbezirken von Paris, in dem sich zwei Hände ohne Haut, zwei Füße ohne Zehennägel, die Haut von zwei Beinen inklusive der Ferse und drei Kopfhäute, die erste mit rötlich-braunem Haar, die zweite mit schwarzem und die dritte mit grauem Haar befanden. Darüber hinaus fanden die Beamten eine Brustwand, ein linkes Ohr mit einem Teil der Gesichtshaut, eine Nasenspitze ohne Knorpel, einen Penis mit einem aufgerissenen, aber ansonsten vollständigen Hodensack und eine komplette Gesichtshaut mit der Nasenspitze, dem Mund, den Lippen und beiden Ohren. Vier weitere verstümmelte Körperfragmente menschlichen Ursprungs konnten nicht identifiziert werden.
Doch das war noch nicht das Ende der grausigen Entdeckungen. Körper und Körperteile in Koffern, mit einem Tau gut verschnürt, tauchten weiterhin aus der Seine auf. Die Enthauptung und Verstümmelung war jedes Mal mit viel Expertise durchgeführt worden, wobei der Täter das Skalpell wie „ein Pathologe in einem Vorlesungssaal“ schwang.
Die Behörden zogen aus den entdeckten menschlichen Körperteilen folgende Schlussfolgerung: Das Haar war meist abrasiert, die Augenbrauen entfernt und die Gesichtshaut mit einem einzigen geschickten Schnitt abgezogen worden. Der Täter hatte sogar die Haut der Fingerspitzen entweder gründlich abgefeilt oder mit Säure verätzt und damit unkenntlich gemacht. Der Grad der Geschicklichkeit und Präzision war so hoch, dass Dr. Paul nicht nur einmal befürchtete, ein Mitglied seines Teams habe die Morde begangen.
Allerdings erkannte der Gerichtsmediziner eine Auffälligkeit beim Sezieren und Verstümmeln der Leichen, die er folgendermaßen erklärte: „Wir Forensiker haben die Angewohnheit, bei einer Leichensektion unser Skalpell während einer Arbeitspause nicht auf den Tisch abzulegen,
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