Der Serienmörder von Paris (German Edition)
ERSTARREN.
(Marcel Petiot im Gespräch mit FFI-Leutnant André Rolet)
F est entschlossen, den Mörder zu ergreifen, träumte Kommissar Massu schon von dem Moment, Marcel Petiot Handschellen anzulegen. Er stellte sich vor, den Verdächtigen auf den Stuhl in der Nähe des Fensters zu setzen, von dem aus man die quadratische Grünfläche sehen konnte, ihm eine Zigarette anzubieten und dann mit dem „leidenschaftlichsten Verhör meiner Laufbahn“ zu beginnen. Am Ende des Wortgefechts wäre er in der Lage, all die Puzzlestücke zusammenzufügen und damit sicherzustellen, dass eine Grausamkeit, Boshaftigkeit und Hinterhältigkeit solchen Ausmaßes nicht unbestraft bliebe.
Doch Massu war noch weit von einer Lösung entfernt. Der Fall schien mittlerweile ungeahnte Ausmaße anzunehmen. Nachdem „François, der Korse“ und „Jo, der Boxer“ in die neue Welt „übergegangen“ waren, wie es landläufig hieß, zirkulierte die Neuigkeit von der Fluchthilfeorganisation im Gebiet der Rue de l’Echiquier und den vielen Cafés, Bars und beliebten Treffpunkten von Faubourg Saint-Martin. Schon bald sprachen Pintard einige von Jos Spießgesellen an, darunter der berüchtigte Gangster Adrien Estébétéguy, auch bekannt als „Adrien, der Baske“, „Die kalte Hand“ oder „Die rechte Hand“. Der 45-jährige Mann aus Bayonne verübte die meisten Straftaten im südwestlichen Frankreich, hauptsächlich in Toulouse. Dabei „sammelte“ er über die Jahre acht Haftstrafen an sowie sieben aktuelle Haftbefehle, nicht zu vergessen eine Reihe von Anklagen wegen tätlichen Angriffs, von denen vier aus der letzten Zeit stammten, denn er hatte sich an französischen Polizisten vergriffen.
Adrien eilte der Ruf voraus, ein verdammt harter Kerl zu sein, mit bissigem Humor und einem Hang zu vornehmer Kleidung. Er trug stets zwei Standard-Automatik mit sich, die er während eines Pokerspiels bei der kleinsten Streitigkeit zog. Sein Modegeschmack war so extravagant, dass er die neuesten Kollektionen bevorzugte, und zwar zu einer Zeit, als der Schwarzmarktpreis dem jährlichen Gehalt eines Fahrkartenverkäufers in der Métro entsprach.
Zu Beginn des Jahres 1943 gab es für „Adrien, den Basken“ eine Reihe von Gründen, Frankreich so schnell wie möglich zu verlassen. Adrien hatte gelegentlich das „Devisenschutzkommando“ unterstützt, eine Einheit, die Personen jagte, die illegal diverse Währungen und Gold verkauften, was ein hochprofitables Geschäft war, das sich Henri Lafont und seine Bande später unter den Nagel riss. Dem Basken wurde zur Last gelegt, einen Teil des beschlagnahmten Goldes zum persönlichen Profit verkauft und eine minderwertigere, verunreinigte Substanz abgegeben zu haben. Zudem stand er im Verdacht, in seinen Berichten bei den konfiszierten Gegenständen einige Posten „vergessen“ zu haben.
Adrien sicherte sich auch einige der „vergessenen“ Güter bei der Zusammenarbeit mit Kurt von Behr vom Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR), der Kunstgegenstände und kulturell wertvollen Besitz aus „eigentümerlosen“ Häusern abtransportierten ließ. Besonders engagierte sich der Baske in der sogenannten „Aktion Möbel“, bei der die Deutschen die Möbel aus Appartements an sich rissen, die deportierten Juden gehört hatten. Die Beute wurde daraufhin an eine neugegründete deutsche Administration im Osten verfrachtet. Nach den alliierten Bombenangriffen auf Köln am 30. Mai 1942 änderte der ERR seine Taktik und rechtfertigte sein Vorgehen, wobei er behauptete, die beschlagnahmten Besitztümer würden als Kompensation für die Opfer der Bombardements genutzt. Am Ende der Schreckensherrschaft der Deutschen hatte die Organisation allein in Paris insgesamt 38.000 Appartements geplündert.
„Adrien, der Baske“ ließ sich auch noch weitere „Vergesslichkeiten“ zu Schulden kommen. Wie „Jo, der Boxer“ benutzte er einen deutschen Ausweis des Sicherheitsdiensts (SD) sowie eine Gestapo-Uniform, um als Sicherheitsbeamter aufzutreten. Dabei verübte er einige Einbrüche. Diese Art des Verbrechens war unglücklicherweise auf dem Vormarsch. Man kannte ungefähr 1.000 Fälle falscher Gestapo-Agenten, die sich überwiegend an den schwächsten Einwohnern vergriffen, wie zum Beispiel an im Ausland geborenen Juden oder unbedeutenden Schwarzmarkthändlern, von denen man glaubte, sie versteckten Bargeld. Der Profit konnte substanziell sein – und Lafont war ein Mann, der keinerlei Betrug tolerierte und sich
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