Der Sichelmoerder von Zons
sich langsam an das dunkle Zimmer. Er befand sich in seinem Schlafgemach. Marie lag ruhig atmend neben ihm. Ihr hübsches Gesicht leuchtete erhaben im Mondschein und ihr Haar glänzte golden. Er sah aus dem Fenster. Es war Vollmond. Kein Wunder, dass er schlecht geträumt hatte. So erging es ihm immer bei Vollmond. Vollmond! Die Nacht, in welcher der Puzzlemörder seine Opfer brutal tötete, getrieben von seinem unerbittlichen Gotteswahn. Es war nur ein Traum! Den Puzzlemörder gibt es nicht mehr. Beruhige dich!
Bastian atmete tief ein. Richtig, die Gefahr war längst vorüber. Er hatte nur geträumt. Bastian dachte an die junge Frau aus seinem Traum. Er wusste nicht genau, wer sie war, doch er war sich sicher, dass er sie schon mehrfach gesehen hatte. Wie war das nur möglich? Wirst du allmählich verrückt, Bastian? Nein!
Langsam schob er die Bettdecke zurück und schlich vorsichtig nach unten in die Küche. Dort stand ein Eimer mit Wasser. Schnell benetzte Bastian sein schweißüberströmtes Gesicht mit dem kühlen Nass. Was für eine Wohltat. Langsam klärte sich sein Verstand und er fühlte, wie der Schleier der Benommenheit von ihm abfiel.
Bringt mir den dritten Schlüssel! Die Worte von Pfarrer Johannes krallten sich in seinem Bewusstsein fest. Bastian überlegte, wie er seinen Wunsch am besten erfüllen konnte. Die St. Sebastianus-Schützenbruderschaft war ihm unheimlich. Es war nicht so, dass Bastian nicht gottesfürchtig war. Wie könnte er es auch nicht sein? Schließlich hatte er sein halbes Leben in der Kirche bei Pfarrer Johannes verbracht. Doch der Pfarrer strahlte für ihn ein warmes helles Licht aus und Bastian konnte Gottes Güte durch Johannes sprechen hören. Bei Huppertz Helpenstein, dem neuen Brudermeister der St. Sebastianus-Schützen, hatte er jedoch das völlig gegenteilige Gefühl. Jedes Wort erschien ihm dunkel und kalt. Drohung und Bestrafung lagen in der Luft, statt Güte und Vergebung. Die Brüder wirkten eingeschüchtert und verhuscht. Vom früheren Stolz der kühnen Kämpfer, die sich mutig im „Neusser Krieg“ bei der Befreiung der belagerten Stadt Neuss hervorgetan hatten, war nicht mehr viel übrig geblieben.
Und Bastian war sich sicher, dass sein Gefühl ihn nicht trog, denn sehr oft sah er die Brüder, wenn sie in der Kirche vor dem St. Sebastianus-Altar knieten, den Huppertz persönlich gestiftet hatte. Bastian überlegte kurz, wieder zu Marie ins Bett zu schlüpfen. Doch dann entschied er sich anders. Er könnte jetzt sowieso nicht mehr einschlafen. Schnell zog er sich seinen Wams über und schlich zur Haustür hinaus. Es war noch viel zu früh, um mit seinem Freund Wernhart zu sprechen. Er war sein treuester Begleiter in der Stadtwache und mit ihm gemeinsam würde er sicher einen Weg finden, um an den dritten Schlüssel zu kommen. Schließlich schien Wernhart sehr viel über die Schlüssel und diese Schützentruhe zu wissen. Jedenfalls war es mehr, als er je darüber gehört hatte. Gut, vielleicht hatte ihn dieses Thema wegen Huppertz Helpenstein auch einfach nur abgestoßen und er hatte alle Gerüchte darüber beständig ignoriert.
Die kalte Nachtluft kühlte Bastians Haut, die vom Schlaf noch heiß und leicht schwitzig war, angenehm ab. Er lief ein paar Schritte und blieb dann vor der Mühle seines Vaters stehen. Der Mühlenturm sah beeindruckend aus. Der helle Vollmond schien durch die Flügel und verlieh dem Kopf der Mühle fast einen Heiligenschein. Die Mühlenflügel knarrten leicht im Wind und gaben Bastian auf der Stelle das Gefühl, zu Hause zu sein. Die Mühle bildete den Eckpfeiler der südwestlichen Stadtmauer von Zons. Die Stadtmauer war riesig. Sie bestand aus drei Meter hohem Felsgestein und bisher hatte kein Feind diese dicken Mauern überwinden können. Die gesamte Architektur dieser Festungsmauern entsprach dem neuesten Stand der Baukunst und die Mühle seines Vaters bildete einen wichtigen Bestandteil dieses Gebildes, welches als uneinnehmbar galt. Darauf war die ganze Familie Mühlenberg unheimlich stolz.
Bastian beschloss, zu Huppertz Helpensteins Haus zu gehen. Viel erwartete er sich nicht von diesem Besuch, aber vielleicht kam ihm unterwegs eine Idee. Leise und bemüht, nicht über die kantigen Pflastersteine zu stolpern, machte Bastian sich auf in Richtung Norden. Huppertz wohnte in der Mauerstraße, im östlichsten Winkel. Sein Haus grenzte fast an den Zollturm von Zons an. Es war eine gute Wohnlage, weil es von hier unmittelbar zur Zollstelle
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