Der Sichelmoerder von Zons
großen Schritt über Bastians Füße steigen. Dieser saß mit ausgestreckten Beinen auf dem spärlichen Strohbett. Sein Blick war fest auf Wernhart gerichtet und so drehte sich sein Kopf in dem Rhythmus hin und her, den sein Freund mit seinem Laufweg durch die Kammer vorgab.
„Warum sollten sie sich mitten in der Nacht treffen? Jeder kennt die Bruderschaft. Sie könnten sich genauso gut bei Tage besprechen und niemand würde bei ihrer Zusammenkunft argwöhnisch werden.“
„Ich weiß es nicht“, erwiderte Bastian und zog dabei die Schultern zur Bekräftigung leicht hoch. Er hatte schon den ganzen Morgen darüber nachgedacht und ihm war kein Grund für ein solches Treffen eingefallen.
„Vielleicht sollten wir uns diese Nacht wieder anschleichen und schauen, ob sie sich noch einmal treffen?“
„Gute Idee. Wir wechseln uns einfach ab. Jede Nacht übernimmt ein anderer von uns die Wache.“
„Mein Vater hat mir anvertraut, dass Huppertz Helpenstein den dritten Schlüssel immer um seinen Hals trägt. Doch ich weiß, dass das nicht ganz stimmt. Vor einer Woche habe ich ihn zum Arzt Josef Hesemann gehen sehen und Bastian, jetzt stell dir vor, was ich herausgefunden habe?“
Wernharts Augen leuchteten stolz bei diesen Worten. Er blieb stehen und hob andächtig erneut an zu sprechen:
„Huppertz hat ein Hautleiden. Der Arzt hat ihm verboten, die Kette bei Nacht zu tragen, weil aus seinem Hautleiden sonst ein Geschwür werden könnte.“
„Woher weißt du das?“, fragte Bastian erstaunt über diese Neuigkeiten.
„Ich habe sie belauscht“, schuldbewusst senkte Wernhart den Kopf.
Bastian sprang auf und klopfte Wernhart auf die Schulter.
„Nun gut mein Freund, ich denke, Pfarrer Johannes wird dir gerne die Beichte hierfür abnehmen!“, er zwinkerte Wernhart zu und beide fingen an zu grinsen.
Endlich hatte Bastian einen Plan, wie er an den dritten Schlüssel kommen könnte. Er musste sich nur des Nachts in das Haus des Brudermeisters schleichen und den Schlüssel stehlen! Doch vorher mussten sie herausfinden, wo er ihn vor der Bettruhe ablegte. Heute Nacht würde sich Wernhart anschleichen und alles genau beobachten. Morgen in aller Frühe wären sie dann in der Lage, einen genauen Plan für die Eroberung des dritten Schlüssels aufzustellen. Bastian war aufgeregt. Irgendwie ging das alles viel zu einfach. In seinem tiefsten Innersten regten sich leise Zweifel, ob er nicht womöglich irgendetwas übersehen hatte.
Doch er schob diese düsteren Gedanken beiseite und machte sich auf den Weg zu Pfarrer Johannes. Schnurstracks lief er durch die Turmstraße, um gleich daraufhin in die nächste Gasse abzubiegen. Wernhart wohnte an einer der Pfefferbüchsen in der Rheinstraße, sodass Bastian es nicht besonders weit hatte. Mit ein wenig Glück, würde er in der Kirche auf Bruder Ignatius stoßen. Sorgenvoll dachte er an seinen ältesten Bruder Heinrich. Die Krankheit hatte ihn so stark gezeichnet, dass Bastian den Anblick seiner ausgemergelten grauen Haut mit den eingefallenen Wangen ohne Anstrengung vor sich sehen konnte, sobald er nur an ihn dachte. Tief in seinem Herzen hoffte er, dass er den letzten Wunsch seines Bruders nicht so schnell würde erfüllen müssen. Doch eine traurige Stimme in seinem Inneren sprach die bittere Wahrheit aus, die sein Herz mit eiserner Faust umschloss. Er hat nicht mehr viel Zeit und du weißt es genau!
Als Bastian in die Zehntgasse einbog, sah er eine blonde Frau vor sich herlaufen. Ihre langen Haare waren zu dicken Zöpfen geflochten und das bodenlange Kleid schwang bei jedem Schritt geschmeidig um ihre Hüften. Bastian lächelte erfreut und schlich sich leise auf Zehenspitzen an sie heran. Sie trug einen Korb mit verführerisch duftenden Backwaren und Bastian war für einen kurzen Moment von seinem knurrenden Magen so abgelenkt, dass er um ein Haar über ihr Kleid gestolpert wäre. Er machte einen Satz nach vorne, drehte sich im Sprung zu ihr um, küsste sie auf ihre rosigen Wangen und griff gleichzeitig mit der rechten Hand schwungvoll in ihren Korb hinein, um sich eines der leckeren Gebäckstücke zu stibitzen.
Aus Maries Kehle drang ein erschrockenes „Oh“ und sie blieb wie vom Donner gerührt stehen. Bastian grinste sie an und senkte scheinheilig den Kopf zu einer angedeuteten Entschuldigung.
„Ihr Schuft!“, entfuhr es ihr. „Ihr sollt mich nicht so erschrecken!“
Dann schlug sie mit einem Tuch nach ihm. Doch Bastian war schneller und hielt es fest, bevor sie
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