Der Sichelmoerder von Zons
Seine Stimme überschlug sich dabei fast und Wilhelm starrte ihn mit angsterfüllten Augen an. Huppertz riss Wilhelm unsanft den Knebel aus dem Mund.
„War das Wernhart?“
„Nein, es war der Teufel“, wimmerte Wilhelm kleinlaut.
Huppertz reichte es endgültig mit diesem Jammerlappen.
„Kannst du nicht einmal ein paar Stunden Acht geben? Wo ist Katharina?“
„Er hat sie mitgenommen!“
Die Tränen liefen jetzt in Strömen über Wilhelms Gesicht.
„Wie meinst du das?“
Huppertz platzte fast vor Wut und schüttelte den hilflosen Wilhelm, während er die Fesseln löste, mit denen dessen Arme und Beine am Stuhl festgebunden waren. Wilhelm rieb sich die Arme. Die Hautstellen, an denen er gefesselt war, waren blutunterlaufen. Offenbar hatte Wilhelm immerhin versucht, sich zu befreien, wenn auch erfolglos.
Laut schluchzend antwortete er: „Erst hat er uns beide gefesselt und dann hat er Wernhart entkommen lassen.“
Wilhelm schüttelte den Kopf und wurde erneut von einem Weinkrampf ergriffen. Kaum hörbar fuhr er fort: „Am Ende hat er Katharina gepackt und sie fortgeschleppt. Ich konnte nichts tun. Wirklich nicht! Es tut mir leid!“
Wilhelm jammerte in lauten und langgezogenen Tönen, die ihn eher wie einen Hund als einen Mensch klingen ließen. Seine Mundwinkel waren dabei weit nach unten verzerrt und die Tränen liefen ununterbrochen seine Wangen hinunter. Huppertz konnte diesen jämmerlichen Anblick nur noch mit Mühe ertragen und musste sich beherrschen. Am liebsten hätte er Wilhelm verprügelt. Verdammt, dieser Trottel sollte aufpassen! Stattdessen war Wernhart entkommen und was noch viel schlimmer war, Katharina war ebenfalls fort. Wutentbrannt machte Huppertz sich auf den Weg. Er würde direkt zu Bastian Mühlenberg gehen. Es reichte ihm! Dieser Wernhart sollte seine Katharina wieder herausrücken. Wenn er sie nicht zurückbekam, wäre er zu allem fähig! Er lief zu einem Schrank und holte sein schärfstes Schwert heraus. Mit langen Reden würde er sich nicht aufhalten. Entweder er bekam Katharina wieder oder er würde jeden einzelnen Soldaten der Stadtwache niedermetzeln! Mit hochrotem Kopf und schnellen Schritten verließ Huppertz das Haus in Richtung Mühlenturm.
Mitten auf der Zehntgasse blieb Huppertz abrupt stehen. Ein Satz von Wilhelm kam ihm in den Sinn: Es war der Teufel!
Verdammt! Was wenn Bastian Mühlenberg von Wernharts Treiben gar nichts wusste? Wenn Wilhelm recht behielt und Katharina gar nicht von Wernhart, sondern von einem Unbekannten entführt worden war, dann befand er sich auf der völlig falschen Fährte. Er musste zurück und noch einmal mit Wilhelm reden. Dieser Trottel sollte ihm genau beschreiben, wie dieser Teufel aussah!
...
Er fuhr mit seinen klobigen, schwieligen Fingern über eine Seite in der Bibel. Er hatte diese Textstelle schon so oft gelesen, dass das Papier von der ständigen Berührung seiner Fingerkuppen ganz rau war. An manchen Stellen zogen sich schmutzige Schlieren unter den Textzeilen entlang. Teilweise waren die Buchstaben bereits ausgeblichen, sodass der Text nicht mehr lesbar war. Aber das störte ihn nicht. Er konnte diesen Text sowieso in- und auswendig. In seinem Kopf ertönte die bekannte Melodie, welche ihn seit seiner Kindheit begleitete. Bist du mir böse Gott? Er war sich nicht sicher, das Richtige getan zu haben. Er griff unter den Tisch und zog eine Geißel hervor. Die Enden an der Riemenpeitsche waren mit spitzen Nägeln besetzt. Er fing an die Melodie aus seinem Kopf laut zu summen und schlug sich dann mit aller Kraft auf den Rücken. Die Peitsche krachte in hohem Schwung und mit einem bösartigen Pfeifen auf seine nackte Haut.
Der Schlag schmerzte nicht mehr als sonst. Also habe ich alles richtig gemacht! Er war sich noch nicht sicher, ob Gottes Antwort richtig war, also holte er abermals aus und ließ die Geißel auf seine nackte Haut niedersausen. Jetzt war er sich sicher, dass der Schmerz sich nicht verstärkt hatte. Dann war alles gut! Mit einem zufriedenen Seufzer legte er die Riemenpeitsche zurück unter den Tisch und begann erneut, in der Bibel zu lesen. Draußen konnte er einen Glockenschlag vernehmen. Er stand auf und blickte durch das Fenster. Es war an der Zeit!
Am helllichten Tag war es am ungefährlichsten zu seinem geheimen Ort zu gelangen. Zu dem Ort, an dem er Gottes Urteil vollstreckte! Dort, wo er den Sündern beibrachte, das Lügen und Ablassbriefe nicht gottgefällig waren. Für ihn war es eine
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