Der siebte Kreis des Wissens - Covenant 02
alldem kannten die Bluthüter sich aus. Wie unheimlich sie auch für menschliche Augen aussehen mochte, oder wie wenig sie auch dem menschlichen Dasein entgegenkam, die Sarangrave-Senke war nicht von Natur aus so schaurig. Vielmehr war sie ganz einfach infolge der Finsternis, die darunter schlummerte, so gefahrvoll – ein wilder Zufluchtsort für das Mißratene im Land, die entstellte Frucht längst vergangener Greuel. Die Riesen, die sich auf Vorsichtigkeit verstanden, waren immer dazu in der Lage gewesen, sich unbekümmert durch die Senke zu bewegen, und sie hatten für andere Reisende Wege geschaffen, so daß sich mit der Durchquerung der Sarangrave-Senke unter normalen Umständen kein allzu großes Risiko verband. Doch nun tat sich im Blickfeld der kleinen Truppe etwas anderes. Schläfrige Bosheit regte sich; die Hand der Verderbnis war am Werk, weckte alte Übel. Die Gefahr war groß, und Lord Hyrim zeigte Entsetzen. Dennoch waren weder die Lords noch die Bluthüter überrascht. Die Lords Callindrill und Amatin – ebenso wie die Bluthüter Morril und Koral – hatten von dieser Bedrohung gesprochen. Und trotz seines Schreckens verzichtete Lord Hyrim auf den Vorschlag, der Gefährdung auszuweichen, indem man nach Norden ritt und die Senke umrundete, denn das hätte einen Umweg von hundert Längen bedeutet. Daher stieg die Truppe in der Morgendämmerung des neunten Tags den Landbruch hinab, nahm dazu einen alten Pferdepfad, den schon die Alt-Lords in die gewaltige Klippe gehauen hatten; dann ritten sie durch die grasbewachsenen Hügel ostwärts zur wichtigsten der Riesen-Straßen durch die Sarangrave-Senke. Die Luft war unten merklich wärmer und dichter als oberhalb des Landbruchs. Sie atmete sich, als wäre sie mit unsichtbaren nassen Fasern durchsetzt, und wenn man sie wieder ausatmete, schien sie irgend etwas in den Lungen zurückzulassen. Mit der Zeit hoben sich immer mehr Sträucher und niedrige, verkrümmte Büsche aus dem Gras. Das Gras selbst sproß höher und war feuchter. In irgendwie sonderbaren Abständen klatschten unter den Hufen der Ranyhyn verstreut verborgene Tümpel brackiger Brühe. Bald sah man knorrige, mit Flechten überwucherte Bäume ihre mit Moos überzogenen Äste ausbreiten. Sie wuchsen dichter und höher, je weiter die Truppe in die Sarangrave-Senke vordrang. Nach einem Weilchen gelangten die Reiter auf eine grasige Landstraße, die zwischen zwei nicht von den schwächsten Wellen gekräuselten Gewässern hindurchführte und mit leichter nördlicher Abweichung ostwärts in einen Dschungel führte, der schon hier einen undurchdringlichen Eindruck machte. Die Ranyhyn verlangsamten und schritten vorsichtiger aus. Dann mußten sie sich unvermittelt durch brusthohes Elefantengras pflügen. Wenn die Reiter nach hinten schauten, konnten sie von der Riesen-Straße keine Spur mehr sehen. Die Senke schloß sich um sie wie mit Kiefern. Aber die Bluthüter wußten, daß es sich nun einmal so mit der Sarangrave-Senke verhielt. Nur der Pfad voraus war sichtbar. Die Ranyhyn setzten den Weg fort, schoben ihre breiten Pferdebrustkörbe durchs Gras. Indem sich der Urwald verdichtete, verengte sich die Riesen-Straße, bis nicht länger mehr als drei Reiter nebeneinander bleiben konnten; je zwei Bluthüter nahmen einen Lord in die Mitte. Doch dafür lichtete sich allmählich das Elefantengras, und die Truppe kam zügiger voran. Ihr Vorwärtskommen geschah mit erheblicher Geräuschentwicklung. Sie störte die Senke, und beim Dahinziehen erzeugte sie beiderseits ihres Wegs Wogen und Wellen der Unruhe, verursachte Lärm. Vögel und Affen schnatterten auf sie ein; kleine Pelztiere, die wie Hyänen kläfften, kamen vor ihr aus dem Gras gehuscht und wieselten fort; und wenn einmal an einer Seite der Urwald einem düsteren, widerwärtigen Teich oder einem wie ranzig trägen Bach wich, flatterte Wassergeflügel in schillerndem Federkleid in die Luft auf. Über stille Weiher hallten plötzliche Plätschergeräusche; unter den Ringen auf dem Wasserspiegel schossen bleiche, verschwommen menschliche Gestalten davon.
Während des ganzen Morgens folgte die Truppe dem Verlauf des gewundenen Pfads, den in längst vergangenen Zeiten umsichtige Riesen geschaffen hatten. Keine direkte Gefahr ergab sich; dennoch verstärkte sich die Ruhelosigkeit der Ranyhyn. Als die Reiter neben einem seichten See hielten, um zu rasten und zu essen, zeigten ihre Reittiere zusehends störrisches Benehmen. Mehrere von ihnen stießen
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