Der siebte Kreis des Wissens - Covenant 02
auf die Straße gesetzt hatte. Nichts war von ihr übriggeblieben als ihr Lächeln. Ich habe mich oft in ihrem Zimmer aufgehalten, bin bei ihr gesessen, während sie dort in ihrem Bett lag ... habe mir angehört, was sie zu erzählen hatte. Ich wollte versuchen, mich an den Gestank zu gewöhnen. Ihr Gesicht sah aus, als schlügen die Ärzte jeden Morgen mit Knüppeln darauf ein, aber noch zeigte es ihr Lächeln. Freilich, ihre Zähne waren größtenteils ausgefallen ... aber ihr Lächeln war unverändert geblieben. Sie bemühte sich, mir Volkstänze beizubringen. Ich mußte mich hinstellen, wo sie mich sehen konnte, und dann erklärte sie mir, wie ich die Füße zu setzen, wann ich zu hüpfen, wie ich die Beine zu bewegen hatte ...« Wieder erstickte seine Stimme. »Und dazwischen erzählte sie mir stundenlang, was für ein erfülltes Leben sie geführt habe. Sie muß knapp vierzig Jahre alt gewesen sein.« Plötzlich bückte er sich, packte einen Stein und schleuderte ihn mit aller Kraft hinunter ins Grinsen des Steingartengesichts. Der Wurf geriet viel zu kurz, aber er schenkte dem Stein, als er ins Tal hinabrollte, keine Beachtung, sondern wandte sich ab. »Falls ich je ihren Mann in die Finger kriege«, raunzte er heiser, »dreh' ich ihm den verdammten Hals um.« Er verließ die Hügelkuppe und stieg hinab zu den Pferden. Gleich darauf saß er wieder auf seinem Tier und galoppierte zurück zur Straße. Dicht hinter ihm folgte Bannor.
Troy atmete tief ein und versuchte, die Wirkung von Covenants Erzählung abzuschütteln, doch er wußte nichts zu sagen. Als er Elena sah, bemerkte er, daß sie auf geistiger Ebene mit Mhoram und Amatin verschmolzen war, als bedürfe sie deren Stärkung, um ertragen zu können, was sie gehört hatte. »Ur-Lord Covenant«, sagte Mhoram einen Moment später laut, »ist ein Prophet.«
»Sagt er das Schicksal des Landes voraus?« erkundigte sich Amatin gequält.
»Nein!« Elena verlieh ihrer Verneinung leidenschaftlichen Nachdruck.
»Nein«, antwortete auch Mhoram, aber leiser. Doch Troy hörte heraus, daß Mhoram etwas anderes meinte. Damit endete der geistige Kontakt der Lords, und sie kehrten zurück zu den Pferden. Bald darauf befand die Reitergruppe sich wieder auf der Landstraße und folgte Covenant in die Richtung nach Schwelgenholz.
Während des restlichen Nachmittags war Troy durch die Reaktion der Lords auf Covenants Verhalten zu aufgewühlt, um den Ritt ruhig genießen zu können. Am folgenden Tag fiel ihm jedoch ein Mittel ein, um seinen unklaren Mißmut zu lindern. Er malte sich in allen Einzelheiten den gesonderten Vormarsch des Kriegsheers aus – der Bluthüter, die mit Lord Callindrill ritten, der Reiterscharen auf ihren Flößen und dann im Galopp, der Krieger, die hinter Amorine marschierten. Auf seiner geistigen Landkarte zeichneten diese verschiedenen Vorstöße sich durch planmäßige Symmetrie aus, die ihm auf grundlegende Weise Freude bereitete. Nach nicht allzu langer Zeit begann er sich wohler zu fühlen. Auch Trothgard half ihm dabei.
Südlich der Steingärten war der Mantel aus Erdreich, der das Land bedeckte, dicker und fruchtbarer, so daß aus dem Gras und den Blumen der Hügel, die die Truppe durchquerte, nirgends länger bloßer Stein ragte. Statt dessen wuchsen überall Gestrüpp und breite Streifen an Baumbestand, lockerten die Hänge auf und betonten in andächtigem Schwung den Verlauf der Täler und Mulden im Gelände. Unterm lichten Himmel und in der herbstlichen Wohltat Trothgards konnte Troy seine Unsicherheit bezüglich Covenants in den Hintergrund seines Bewußtseins abschieben wie einen Alptraum. In dieser Stimmung beschäftigte ihn nicht einmal das Problem der Kommunikation noch. Normalerweise hätte ihn die Unmöglichkeit, mit Quaan Verbindung aufzunehmen, noch mehr gesorgt als die Ungewißheit darüber, was aus Koriks Mission geworden war; aber er befand sich unterwegs nach Schwelgenholz. Hoch-Lord Elena hatte ihm versprochen, daß man sich an der Schule der Lehre mit seinem Problem befaßte. Er blickte der Chance, daß die Schüler des Stabwissens für ihn eine Lösung gefunden hatten, hoffnungsvoll entgegen. Am Abend dieses Tages war er wieder dazu in der Lage, am Gesang und an den Geschichten, von den Lords am Lagerfeuer vorgetragen, seine Freude zu haben. Mhoram allerdings blieb stumm und zeigte Zurückhaltung, und Covenant stierte düster und wortkarg in die Glut des Feuers. Hoch-Lord Elena dagegen war geradezu spritzig gutgelaunt.
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