Der siebte Kreis des Wissens - Covenant 02
schickte er die Schar- und Streitwarte wieder zu ihren Abteilungen. Als sie fort waren, trat Trutzmark Amorine zu ihm, um mit ihm zu reden. Amorines derbes, strenges Gesicht verriet die Absicht einer sauren Einlassung, doch er kam ihr schnell zuvor. »Nein, Amorine«, sagte er. »Ich werde dich nicht ablösen lassen.« Sie wollte Einwände erheben, deshalb sprach er schnell nachsichtiger weiter. »Ich weiß, ich habe den Eindruck erweckt, als würde ich dir daran die Schuld geben, daß wir hinter dem Zeitplan zurückgeblieben sind. Aber das kommt bloß daher, daß ich in Wahrheit mir selbst die Schuld gebe. Du bist die einzige geeignete Person für diesen Job. Das Kriegsheer respektiert dich ... so wie's Quaan respektiert. Die Krieger vertrauen deiner Aufrichtigkeit, deiner Erfahrung. Wie sie von mir denken, darüber bin ich mir nach alldem nicht so sicher.« Den letzten Satz äußerte er ziemlich trübsinnig. Schlagartig verschwanden Amorines Selbstzweifel. »Du bist der Streitmark. Wer hat's gewagt, dich in Frage zu stellen?« Ihr Tonfall deutete an, daß jeder, der ihn herauszufordern gedachte, sich zuerst mit ihr befassen müsse.
Ihre anhängliche Treue rührte ihn. Er war nicht völlig davon überzeugt, daß er sie verdiente. Doch er beabsichtigte, sie sich zu verdienen. Er würgte seine Emotionen hinunter. »Niemand wird mich in Frage stellen, solange wir das vorgesehene Marschtempo beibehalten«, antwortete er. »Und wir werden's durchhalten.« Ich hab's Quaan versprochen , fügte er zu sich selbst hinzu. »Wir müssen die verlorene Zeit wieder rausholen – und zwar hier in den Mittlandebenen. Südlich vom Schwarzen Fluß wird das Gelände schwieriger.« Der Trutzwart nickte, als ob er ihm glaubte.
Nachdem Amorine ihn verlassen hatte, kroch er unter seine Decken und verbrachte die Nacht damit, die private Finsternis seines Hirns nach einer Alternative zu seinem Dilemma zu zermartern. Aber ihm fiel nichts ein, das die Notwendigkeit dieses Gewaltmarsches aufhob. Als er endlich doch einschlief, träumte er von Kriegern, die sich in den Süden schleppten wie in ein offenes Grab. Am nächsten Morgen, als die Reihen des Kriegsheers sich wieder regten, die Krieger sich matt strafften, sich taumelig in Bewegung setzten wie ein langes, dumpfes Stöhnen über den gesamten Ebenen, da marschierte Streitmark Hile Troy mit. Statt seinen Ranyhyn zu besteigen, leitete er persönlich den Rhythmus der Trommler ein, überprüfte dessen Einhaltung, schritt selber in seinem Takt aus. Auf dem Marsch strebte er an den Scharen entlang, stattete jedem einzelnen Fähnlein einen Besuch ab, nannte jeden Streitwart beim Namen und ermutigte ihn, schreckte die Krieger mit seinem Erscheinen und persönlicher Sorge aus ihrer stumpfsinnigen Mattigkeit – er hielt trotz seines mangelhaften körperlichen Trainings durch, um ein Beispiel zu geben, das seinem Heer eine gewisse Ermunterung sein konnte. Am Ende des ersten Tags unter den Mannschaften war er so müde, daß er kaum noch das kleine Camp erreichte, das er mit Lord Mhoram und Amorine teilte, ehe er etwas vom Sterben murmelte und auf der Stelle einschlief. Dennoch raffte er sich am nächsten Tag hoch und wiederholte seinen demonstrativen Einsatz, verbarg seine Mühsal hinter dem Verständnis, das er den Kriegern auf die eine oder andere Weise zeigte. Vier Tage lang marschierte er so mit dem Kriegsheer durch die Mittlandebenen. Nach jedem Tagesmarsch in diesem rücksichtslosen Tempo hatte er das Gefühl, seine Grenzen überschritten zu haben – daß der ganze Gewaltmarsch eine Unmöglichkeit sei und aufgegeben werden müsse. Aber an jedem Abend unterstützte Lord Mhoram die Köche bei der Zubereitung der Verpflegung fürs Heer und begab sich anschließend unter die Krieger, um ihnen Mut einzuflößen. Und zweimal im Laufe dieser vier Tage gelangte die Armee an umfangreiche, von Bluthütern bewachte Vorratslager – von den Dorfbewohnern der Mittlandebenen gelieferter und bereitgestellter Nachschub. Die frische, reichhaltige Nahrung wirkte sich überraschend positiv aus; sie verhalf jenen Kriegern, die glaubten, keinesfalls länger durchhalten zu können, zu neuer Zuversicht.
Am Ende seines vierten Tages zu Fuß – dem dreizehnten Tag des Gewaltmarsches – neigte Troy endlich zu der Einschätzung, daß die Verfassung des Kriegsheers sich stabilisiert hatte. Mehr als vierzig Längen weit war er mitmarschiert. Aus Furcht, das wiedergefundene, aber noch wacklige moralische Gleichgewicht
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