Der siebte Kreis des Wissens - Covenant 02
aufrecht und starr stand sie wie eine Versteinerung im letzten Helligkeitsschimmer des Abends. Doch die Ranyhyn liefen nicht länger herum. Sie hatten sich um sie geschart; ihr zugewandt, musterten sie sie mit kraftvollem Drängen in ihren Augen. Manche waren so nah, daß sie ihr warmes, schwüles Schnauben einatmete. Sie wollten von ihr, daß sie irgend etwas tat – Elena spürte, wie die Beharrlichkeit ihres gemeinsamen Willens gegen ihren Wall der Furcht anrannte. Langsam, steifgliedrig und willenlos begann sie zu handeln.
Sie ging zum See und trank.
An dieser Stelle unterbrach der Hoch-Lord unvermittelt die Schilderung und fing an zu singen – sang ein stimmungsvolles, von Zorn und Sorge erfülltes Lied, das in der Luft überm Erdwurzelsee Schwingungen der Leidenschaft verbreitete. Aus Gründen, über die Covenant nur gefühlsmäßige Mutmaßungen anstellen konnte, verfiel sie in Lord Kevins Klage, als sei das ihr ureigenster und unveräußerlicher Trauergesang.
»Wo ist die Macht, zu hüten
Schönheit vor des Daseins Modern?
Reine Wahrheit vor Lug und Trug?
Zu sichern Treu vorm tückisch Rost der Wirrung,
der verderbt?
Wie denn, macht Bosheit uns zu Zwergen?!
Was bäumen die Felsen sich nicht auf
zur eignen Läuterung,
oder werden Staub vor Scham?«
Während die traurigen Echos des Gesangs noch über den See hallten, blickte Elena Covenant zum erstenmal an, seit sie zu erzählen angefangen hatte.
»Liebster«, sagte sie mit unterdrückter, gepreßter Stimme, »was ich trank, wandelte mich ... erweckte mich wieder zum Leben. Als des Sees Wasser mich inwendig berührten, fiel die Blindheit oder Unwissenheit meines Herzens von mir ab. Meine Furcht schmolz dahin, und ich hatte teil an der Gemeinschaft der Ranyhyn. In einem Augenblick des Gesichts verstand ich – alles. Ich erkannte, daß ich zur Ehrung deines Versprechens zum Rösser-Ritus Kelenbhrabanals , des Vaters der Pferde, gebracht worden war – dem Ritual der Ranyhyn, das einmal in jeder Geschlechterfolge stattfindet, um ihre großartige Sage zu bewahren und weiterzureichen, die Geschichte vom Tode des mächtigen Kelenbhrabanal in den Kiefern von Fangzahn dem Reißer. Ich ersah, daß das entfesselte Umhersprengen der Ranyhyn der Ausdruck war für ihren gemeinsamen Kummer und Zorn, ihre Raserei beim Gedenken an ihres Vaters Ende. Denn Kelenbhrabanal war der Vater der Pferde, Hengst der Erstherde. Die Ebenen von Ra waren seine Weidegründe und sein Schutzbereich. Er führte die Ranyhyn in ihren großen Krieg gegen die Wölfe Fangzahn des Reißers. Doch selbiger Krieg zog sich in die Länge, ohne daß sich ein befriedigendes Ergebnis für die Ranyhyn abgezeichnet hätte, und der Gestank vergossenen Blutes und gerissenen Fleisches gedieh in des Hengstes Nüstern zu einem Übel. Daher begab er sich zu Fangzahn. Er trat vor den Reißer und sprach: ›Laß uns diesen Krieg beenden. Ich wittere deinen Haß – ich weiß, du mußt Opfer haben, sonst müßtest du dich in deiner Leidenschaft selbst verzehren. So will ich dein Opfer sein. Töte mich und laß mein Volk in Frieden leben. Tobe deinen Haß an mir aus und beende diesen Krieg.‹ Und Fangzahn willigte ein. Daraufhin entblößte Kelenbhrabanal seine Kehle den Zähnen des Reißers und tränkte die Erde mit seinem Opferblut. Aber Fangzahn brach sein Wort – die Wölfe bedrängten die Ranyhyn weiterhin. Die Ranyhyn waren nun ohne Führer und voller Zagen. Sie vermochten nicht recht zu kämpfen. Die restlichen Ranyhyn sahen sich zur Flucht in die Berge gezwungen. Sie konnten erst wiederkehren, als die Ramen ihnen ihre Dienste zukommen ließen und sie mit ihrer Hilfe die Wölfe aus den geliebten Ebenen vertrieben hatten. Seither findet während jeder Geschlechterfolge der Ranyhyn einmal dieser große Rösser-Ritus statt, um die Überlieferung der Geschichte des Vater-Hengstes zu gewährleisten – im Gedächtnis der Ranyhyn all ihren Stolz auf seine Selbstaufopferung zu verankern, all ihren Gram um seinen Tod, all ihren Grimm wider den Verächter, der sie betrog. Daher trinken sie das den Geist vereinigende Wasser und hämmern einen Tag und eine Nacht hindurch mit ihren Hufen dem Untergrund die grenzenlose Heftigkeit ihrer Gemütsbewegung ein. Und so kam es, daß ich, nachdem ich vom Wasser des Bergsees gekostet hatte, gemeinsam mit ihnen umherlief, weinte und wütete, die ganze Aufgewühltheit der langen Nacht mit ihnen teilte. Mit Herz, Verstand, Seele und meinem gesamten Ich ergab ich
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