Der siebte Kreis des Wissens - Covenant 02
Ende mit ihm zu teilen, bewahrt hat, empfinden sie Argwohn gegenüber ihrer eigenen Treue, obwohl niemand gegen sie Vorwürfe zu erheben wagen könnte. Ist's das, wovon du Rede führst?«
Er hatte zunächst nicht antworten wollen, aber ihre Direktheit nötigte ihn dazu. »Sie haben schon viel zu lange gelebt. Bannor weiß das.« Um sich vor weiterer Behandlung des Themas zu drücken, schlenderte er zum Tisch, um die Skulptur zu betrachten. Die weiße Statuette stand auf einem Sockel aus Ebenholz. Sie stellte einen aufgebäumten Ranyhyn dar, aus einem Material gearbeitet, das aussah wie Bein. Die Arbeit war arm an Details, aber dank irgendeinem Geheimnis ihrer Kunst drückte sie in hervorragender Weise die Kraft der starken Muskeln aus, die Intelligenz in den Augen, das flammenartige Wehen der Mähne.
»Das ist mein Handwerk«, sagte Elena, ohne näher zu treten. »Markkneten. Gefällt dir das Stück? Es zeigt Myrha, den Ranyhyn, der mich trägt.«
Irgend etwas störte Covenant. Er verspürte keine Lust zum Nachdenken über die Ranyhyn, aber er glaubte eine Diskrepanz bemerkt zu haben. »Schaumfolger hat mir gesagt, die Kunst des Markknetens sei ausgestorben.«
»So war's. Ich allein im ganzen Lande beherrsche diese alte Ramen-Kunst. Anundivian jajña , auch Markkneten oder Bein-Bildwerkerei geheißen, geriet bei den Ramen während ihrer Verbannung in den Bergen des Südlandrückens in Vergessenheit – nach dem Ritual der Schändung. Ich spreche nicht aus Stolz ... doch in mancherlei Hinsicht ist mir Segen widerfahren. Als ich ein Kind war, trug ein Ranyhyn mich in die Berge. Drei Tage lang kehrten wir nicht zurück, so daß meine Mutter mich bereits tot wähnte. Aber der Ranyhyn lehrte mich vieles ... vieles ... in meinem Lernen entdeckte ich diese alte Kunstfertigkeit wieder. Das Wissen darum, wie man sprödem Gebein neue Gestalt schenkt, kam in meine Hände. Nun übe ich mich hier in dieser Kunst, wenn ich des Wirkens als Lord überdrüssig bin.«
Covenant hielt ihr den Rücken zugewandt, obwohl er die Skulptur nicht länger beachtete. Er lauschte ihrer Stimme, als erwarte er, im nächsten Moment könne sie in die Stimme jemandes übergehen, den er kannte. Ihr Tonfall war reich an unterschwelligen Bedeutungen. Doch sie blieben ihm verborgen. Ruckartig drehte er sich um und erwiderte Elenas Blick. Und obwohl sie ihm zugekehrt stand und ihn ansah, schien sie noch immer zugleich etwas anderes anzuschauen oder an irgend etwas völlig anderes zu denken. Ihr Abseitsblick beunruhigte Covenant. Während er sie musterte, vertiefte sich sein Stirnrunzeln, bis er die Heilung seiner Stirnwunde wie eine Dornenkrone trug. »Was willst du von mir?« fragte er nach.
»Möchtest du dich nicht setzen?« entgegnete sie gelassen. »Ich will mit dir über vielerlei reden.«
»Zum Beispiel?«
Die Derbheit seines Umgangstons erschreckte sie keineswegs, aber sie sprach noch ruhiger. »Ich hoffe, ich kann eine Möglichkeit finden, um deine Hilfe wider den Verächter zu gewinnen.«
»Wie weit«, erwiderte er, während er Gedanken der Selbstverachtung dachte, »bist du zu gehen bereit?«
Für die Dauer einer Sekunde kam der andere Fokus ihrer Augen ihm nah, rührte an ihn wie eine Feuerzunge. Blut schoß ihm ins Gesicht, und fast wäre er um einen Schritt zurückgeprallt – so stark war in diesem Augenblick sein Empfinden, daß sie das Leistungsvermögen dazu besaß, weit über alles hinauszugehen, das er sich vorzustellen vermochte. Aber die Einsicht verflog, bevor er das Äußerste ermessen konnte. Ohne Eile drehte sie sich um und begab sich in eines ihrer restlichen Zimmer. Als sie kurz darauf wiederkehrte, trug sie in ihren Händen ein mit altem Eisen verstärktes Holzbehältnis, das sie umfaßte, als enthielte es irgendeine Kostbarkeit.
»Der Großrat hat sich in dieser Angelegenheit ungemein ausführlich beraten«, sagte sie. »Einige erhoben zum Einwand: ›Ein solches Geschenk ist für jeden zu groß. Wir sollten es behalten und sicher bewahren, solange wir auszuharren vermögen.‹ Und andere meinten: ›Es wird seinen Zweck verfehlen, denn er wird glauben, wir gedächten, uns seinen Beistand mit Geschenken zu erkaufen. Das wird ihn erzürnen, so daß er sich weigert.‹ So sprach Lord Mhoram, der den Zweifler besser kennt als jeder andere Mensch. Ich jedoch sprach dagegen: ›Er ist nicht unser Feind. Er gewährt uns keine Hilfe, weil er keine Hilfe geben kann. Wenngleich er Träger des Weißgolds ist, übersteigt
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