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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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hastig, falls es Tenna peinlich sein könnte zuzugeben, daß sie ein geliehenes Kleid trug.
    »Das ist wohl wahr«, sagte Ligand. »Ich hätte sie nie für eine Läuferin gehalten.«
    »Warum nicht?« fragte Rosa ärgerlich.
    »Weil sie Blau trägt«, sagte Ligand achtungsvoll. »Also, welche Farbe wäre denn an diesem schönen Zusammenkunftstag recht?«
    »Ich hätte gern Dunkelgrün«, sagte Tenna und zeigte auf einen Stapel von Häuten in verschiedenen entsprechenden Farbtönen auf dem Regal hinter dem Gerber.
    »Gute Wahl für eine Läuferin«, sagte er und beförderte den ganzen Stapel mit einer geschickten Bewegung auf den Tresen. Dann ging er zum anderen Ende seines Stands, wo zwei Interessenten schwere Gürtel begutachteten.
    »Damit das Moos der Wege keine Flecken hinterläßt«, bemerkte Rosa, als Tenna den Stapel begutachtete und das Leder betastete.
    »Wir in Boll bevorzugen Rotbraun«, sagte Cleve. »Der Boden unten in Boll hat zum größten Teil diese Farbe. Und das Moos wächst in der Hitze nicht so gut wie im Norden.«
    »In Igen wächst es prima«, sagte Tenna, die dort schon gelaufen war.
    »Das stimmt«, sagte Cleve nachdenklich. »Die gefällt mir«, fügte er hinzu und strich mit der Hand über eine Haut, ehe Tenna zur nächsten übergehen konnte. »Ein schönes tiefes Smaragdgrün.«
    Tenna hatte sie auch in Erwägung gezogen. »Das reicht aus für Stiefel. Ich brauche nur etwas für Sommerschuhe. Er wird sie bestimmt nicht zerschneiden wollen.«
    »Aha, du hast eine gefunden, die dir gefällt, ja? Ich kann dir dafür einen guten Preis machen.« Ligand bekam offensichtlich alles mit, was sich an seinem Stand abspielte. Er drehte die Haut um und las, was auf der Unterseite geschrieben stand. »Ich gebe sie dir für neun Mark.«
    Rosa stöhnte auf. »Fünf wäre schon schwerer Diebstahl.« Dann sah sie zerknirscht drein, weil sie Einwände erhoben hatte, wo doch Tenna die potentielle Käuferin war.
    »Das finde ich auch«, sagte Tenna, die nur vier ausgeben konnte. Sie tätschelte die Haut noch einmal, lächelte Ligand höflich zu und ging. Ihre Begleiter folgten ihr hastig.
    »Eine bessere Qualität wirst du nirgends finden«, rief Ligand ihnen hinterher.
    »Es war eine gute Qualität«, murmelte Tenna, während sie sich entfernten. »Aber vier Mark ist mein Limit.«
    »Oh, dafür sollten wir eine kleinere Haut finden können, wenn auch vielleicht nicht im selben Grün«, sagte Rosa unbekümmert.
    Aber nach der dritten Runde hatten sie alle grünen Häute gesehen, die zum Verkauf standen, und keine gefunden, die denselben Farbton hatte oder so wunderbar weich gegerbt war.
    »Ich habe einfach keine fünf, selbst wenn wir ihn darauf herunterhandeln könnten«, sagte Tenna. »Die braune am dritten Stand tut es auch. Sollen wir es damit versuchen?«
    »Oh«, sagte Rosa und blieb wie angewurzelt stehen.
    Auch Cleve war stehengeblieben, aber Tenna konnte nicht sehen, was sie so beunruhigt hatte, bis plötzlich ein Mann aus der Menge trat und sich ihnen direkt in den Weg stellte. Sie erkannte den großen, weißhaarigen Mann von der Zeremonie am Vormittag als den Burgherrn Baron Groghe.
    »Läuferin Tenna?« fragte er förmlich. Aber der Ausdruck in seinen weit auseinanderliegenden Augen war freundlich.
    »Ja«, sagte sie und hob leicht das Kinn. Würde er jetzt ihr Saures geben, weil sie seinen Sohn Horon niedergeschlagen hatte? Sie konnte auf keinen Fall zugeben, daß sie sich den Falschen ausgesucht hatte.
    »Sollen wir uns mit deinen Freunden dort drüben hinsetzen?« sagte Baron Groghe und zeigte auf einen freien Tisch. Er legte ihr eine Hand an den Ellbogen und führte sie mit sanftem Nachdruck dorthin, aus dem Strom der Menschen hinaus.
    Tenna dachte verwirrt, daß weder sein Ausdruck noch sein Tonfall besonders dominant waren. Er war ein gedrungener Mann mit rundlichem Gesicht und dem Ansatz eines Doppelkinns und lächelte jedermann freundlich zu, als sie zu dem Tisch gingen. Er machte den Weinhändler auf sich aufmerksam und hielt vier Finger hoch. Der Weinhändler nickte und beeilte sich, sie zu bedienen.
    »Ich muß mich bei dir entschuldigen, Läuferin Tenna.« Er sprach mit gedämpfter Stimme.
    »Wirklich?« Und als sie Rosas verwunderten Gesichtsausdruck sah, fügte sie nach nur kurzem Zögern hinzu: »Baron Groghe?«
    »Mein Sohn Haligon hat dich vor vier Nächten vom Weg abgedrängt, wie ich erfahren habe, und du bist dabei so schwer verletzt worden, daß du einige Tage nicht laufen

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