Der siebte Schrein
Rock hoch genug, daß er die roten Pünktchen der heilenden Verletzungen sehen konnte. Und zeigte ihm noch einmal die freie Hand mit den allmählich verheilenden Einstichen.
»Haben sie sich entzündet?« Er kannte offenbar die Gefahren, die von Stichlingsbüschen ausgingen, und klang jetzt ehrlich bestürzt.
»Wir haben die Dornen nicht weggeworfen«, sagte sie in strengem Tonfall. »Heiler Beveny bewahrt sie als Beweis auf. Ich konnte deshalb drei Tage nicht arbeiten.«
»Das tut mir leid.« Und es hörte sich aufrichtig an; seine Miene war ernst. Dann schüttelte er unmerklich den Kopf und sah sie ein wenig argwöhnisch an, aber mit einem Ausdruck in den Augen, der ihr verriet, daß er sie attraktiv fand. »Wenn du mir versprichst, daß du mich nicht zu Boden schlägst, muß ich dir sagen, daß du nicht wie die meisten Läuferinnen aussiehst, die ich kenne.« Sein Blick verweilte nur kurz auf ihrem Leibchen, dann räusperte er sich hastig. »Ich sollte besser wieder zurück und nachsehen, ob . . . Haligon wieder zu sich gekommen ist.«
Tenna warf einen kurzen Blick auf die Gruppe der Leute, die sich um ihr Opfer geschart hatten, nickte ihm freundlich zu und setzte ihren Weg zu Rosa und Cleve fort.
Sie sahen blaß und schockiert aus.
»Na also! Der Ehre wurde Genüge getan«, sagte sie und nahm wieder Platz.
Rosa und Cleve sahen sich an.
»Nein«, sagte Rosa und beugte sich zu ihr, eine Hand auf Tennas Unterarm. »Du hast nicht Haligon niedergeschlagen.«
»Nicht? Aber das ist der Mann, den ihr mir gezeigt habt! Er ist in Braun . . .«
»Haligon auch. Er ist derjenige, der dir über die Tanzfläche gefolgt ist. Mit dem du geredet hast, und ich glaube nicht, daß du ihm Saures gegeben hast.«
»Oh.« Tenna ließ sich kraftlos in den Stuhl sinken. »Ich habe den falschen Mann geschlagen?«
»Hm-hmm«, sagte Rosa, und sie und Cleve nickten beide.
»Oje!« Und damit wollte sie aufstehen, aber Rosa hielt sie hastig zurück.
»Ich glaube nicht, daß eine Entschuldigung etwas nützen wird.«
»Nicht? Wen habe ich denn geschlagen?«
»Seinen Zwillingsbruder Horon, der auf seine Weise schlimm genug ist.«
»Zweifellos, bei dem lüsternen Blick, den er mir zugeworfen hat.« Tenna war schon halbwegs überzeugt, daß sie wenigstens jemanden geschlagen hatte, der es verdiente.
»Horon ist ein unverschämter Kerl, und anständige Mädchen wollen nichts mit ihm zu tun haben. Schon gar nicht bei einer Zusammenkunft.« Dann kicherte Rosa und schlug eine Hand vor den Mund. »Er hat dich wirklich von oben bis unten angesehen. Wir haben gedacht, deshalb hättest du ihn geschlagen.«
Als ihr die Wucht ihres Schlags einfiel, rieb sich Tenna die schmerzenden Knöchel.
»Irgend jemandem hast du vermutlich einen Gefallen getan«, sagte Cleve grinsend. »Das war ein anständiger Schlag.«
»Haben mir meine Brüder beigebracht«, sagte Tenna geistesabwesend und sah zu der Gruppe auf der anderen Seite des Hofs. Sie war ein wenig erleichtert, als Horon auf die Füße geholfen wurde. Und nicht unglücklich darüber, daß er taumelte und gestützt werden mußte. Als die Gruppe um Horon weiterzog, sah sie Haligon zur Station gehen. »Warum geht er zur Station?«
»Darüber würde ich mir keine Gedanken machen«, sagte Rosa und stand auf. »Torlo wird ihn mit Vergnügen daran erinnern, was er Läufern schon alles angetan hat.«
»Auch wenn sie nicht so hübsch waren wie du«, sagte Cleve. »Laß uns nach deinem Leder sehen.«
Sie brachten ihre leeren Gläser zum Erfrischungsstand zurück. Tenna warf noch einen Blick zur Station, aber von Haligon oder Torlo war nichts zu sehen, auch wenn ein ständiges Kommen und Gehen herrschte. Sollte wohl so sein während einer Zusammenkunft. Würde sie auch Haligon niederschlagen müssen? Um ihre Läuferehre zu verteidigen? Das würde nicht leicht werden, denn er war ziemlich vorsichtig gewesen, als er sich ihr auf der Tanzfläche genähert hatte.
Nach einer zweiten Runde um die Stände beschlossen sie, sich nach den Preisen zu erkundigen, die verlangt wurden. Beim ersten Gerberstand führte Cleve weitgehend die Verhandlungen, daher blieb die wahre Interessentin von den Schmeicheleien des fahrenden Gerbers, eines Mannes namens Ligand, verschont.
»Blau für eine Harfensängerin?« hatte Ligand gesagt und Tenna angesehen. »Ich dachte, daß du dir die Auslage vorhin schon angesehen hättest.«
»Ich bin Läuferin«, sagte Tenna.
»Sie sieht in Blau einfach am besten aus«, sagte Rosa
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