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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Es war Brauch, sich einen Zusammenkunftspartner zu suchen, mit dem man das Fest verbrachte - dazu gehörte der Tag, das Abendessen, der Tanz und worauf man sich sonst noch in beiderseitigem Einvernehmen einlassen wollte. Alle kannten die Grenzen und achteten darauf, daß die Details rechtzeitig arrangiert wurden, damit niemand die Absichten des anderen mißverstand.
    Dies wäre die ideale Gelegenheit, um Haligon von seinem hohen Roß zu stoßen. Die Stelle, wo er mit seinen Freunden stand, lag am Rand der Straße, die staubig und mit dem Kot aller Zugtiere verunreinigt war, die die Wagen der Zusammenkunft gezogen hatten. Er würde albern aussehen, seine gute Kleidung durcheinander. Mit etwas Glück würde sie seine teure Zusammenkunftskleidung nicht nur staubig, sondern auch schmutzig machen.
    »Entschuldigt mich«, sagte Tenna und stellte ihr Getränk ab. »Ich muß eine Rechnung begleichen.«
    »Oh!« Rosas Augen wurden groß, aber ein anfeuerndes »Jo-ho« folgte Tenna, als sie quer über den Holzboden der Tanzfläche schritt.
    Tenna ging direkt auf ihn zu, klopfte ihm auf die Schulter, und als er sich zu ihr umdrehte, wich sein durchtriebenes Lächeln einem abschätzenden, bewundernden Blick. Seine Augen leuchteten, und er war so vertieft in den Anblick, daß er nicht sah, wie Tenna den rechten Arm anwinkelte. Sie legte ihr ganzes Gewicht in den Schlag und traf ihn mit voller Wucht am Kinn. Er fiel um wie ein Stück Schlachtvieh und landete bewußtlos auf dem Rücken. Und mitten auf einem Kothaufen. Sie rieb sich die Hände voller Befriedigung, machte auf den Absätzen ihrer geborgten roten Schuhe kehrt und ging auf dem Weg zurück, auf dem sie gekommen war.
    Sie war noch nicht sehr weit gekommen, als sie hörte, wie jemand sich ihr rasch näherte. Aus diesem Grund war sie vorbereitet, als sie am Arm gepackt und festgehalten wurde.
    »Was sollte das alles?« Es war der große Bursche in Braun, der sie mit einem aufrichtig überraschten Gesichtsausdruck zu sich umdrehte. Und auch seine Augen musterten sie in ihrem engen blauen Kleid.
    »Ich dachte, es täte ihm gut, etwas von dem zurückzubekommen, was er so rücksichtslos austeilt«, sagte sie und ging weiter.
    »Augenblick mal. Was soll er dir getan haben? Ich habe dich noch nie in Fort gesehen, und er hat nie erwähnt, daß er jemand wie dich kennengelernt hat. Und das hätte er ganz bestimmt getan!« Seine Augen funkelten anerkennend.
    »Ach ja?« Tenna legte den Kopf schief. Sie waren fast Auge in Auge. »Nun, er hat mich in Stichlingsbüsche geschubst.« Sie zeigte ihm ihre Hände, und sein Gesicht nahm einen besorgten Ausdruck an.
    »Stichlingsbüsche? Die sind in dieser Jahreszeit gefährlich.«
    »Das habe ich auch gemerkt . . . auf schmerzhafte Weise«, antwortete sie scharf.
    »Aber wo? Wann?«
    »Das spielt keine Rolle. Ich habe die Rechnung beglichen.«
    »Wahrhaftig!« Und sein Grinsen war respektvoll. »Aber bist du sicher, daß es mein Bruder war?«
    »Kennst du alle Freunde von Haligon?«
    »Haligon?« Er blinzelte. Nach einer Pause, während der sich eine ganze Reihe Erwägungen in seinen Augen spiegelten, sagte er: »Ich dachte, ja.« Und er lachte nervös. Dann gab er ihr den Weg frei. Sie konnte sehen, daß er sich bemühte, sie nicht zu verärgern, und das bereitete ihr eine erneute amüsierte Befriedigung.
    »Es gibt eine Menge, das Haligon unter den Teppich kehren möchte«, sagte sie. »Er ist ein rücksichtsloser Kerl.«
    »Und du bist diejenige, die ihm Manieren beibringen will?« Er nahm die Hand vor den Mund, aber sie sah das Lachen in seinen Augen strahlen.
    »Jemand muß es tun.«
    »Ach? Was genau hat er dir denn getan? Es kommt nicht oft vor, daß . . . Haligon . . . so niedergestreckt wird. Hättest du nicht eine weniger öffentliche Stelle suchen können, um ihm eine Lektion zu erteilen? Du hast seinen besten Anzug besudelt.«
    »Eigentlich habe ich die Stelle mit Absicht gewählt. Um ihn spüren zu lassen, wie es ist, wenn man unerwartet zu Boden geworfen wird.«
    »Ja, kann ich mir denken. Aber wo bist du ihm begegnet?«
    »Er ist auf einem Laufweg geritten, im gestreckten Galopp, mitten in der Nacht . . .«
    »Oh.« Und er blieb wie angewurzelt und mit einem seltsamen, fast schuldbewußten Ausdruck stehen. »Wann war das?« fragte er ohne Spur von Heiterkeit.
    »Vor vier Nächten, an der Hügelkurve.«
    »Und?«
    »Ich wurde in Stichlingsbüsche geworfen.« Mit diesen Worten streckte sie das rechte Bein von sich und zog den

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